Der Zahn der Zeit: Er nagt auch an Depeche Mode. Angefangen als unbedarfte Synthie-Boyband, mauserten sie sich schnell zum Aushängeschild außegewöhnlicher Musikproduktionen, die Anspruch mit Pop-Appeal scheinbar mühelos zu verbinden imstande war. Über mehr als 20 Jahre funktionierte die Gruppe, die trotz stilistischer Umbrüche - als man beispielsweise den Blues für "Songs Of Faith And Devotion" entdeckte - immer das richtige Gespür für ausdrucksstarke Nummern und stimmige Alben besaß.
Mit dem 2005er Album "Playing The Angel" gelang ihnen das zum letzten Mal überzeugend. Danach hat die Band aufgehört, Lieder mit Wiedererkennungswert zu schreiben. Zwar konnte auf "Sounds Of The Universe" mit "Wrong" noch eine substantielle Single auf den Markt gebracht werden, aber das Album selbst wies bereits einige Längen auf, die sich auf den kommenden Longplayern als Stilprinzip durchsetzen sollten. Leider.
Das vierzehnte Album "Spirit", veröffentlicht im Jahre 2017, bildet da keine Ausnahme in der Umorientierung der Band, in denen sich schon seit dem Weggang von Alan Wilder Mitte der 1990er die Machtverhältnisse und Ansprüche verschonben haben. Zwar ist Martin Gore immer noch Chef im Ring, wenn es um das Schreiben von Songs geht, Dave Gahan allerdings trägt auf dieser Veröffentlichung sein nicht unbedeutendes Scherflein bei, und auch die Depeche-Mode-Live-Musiker Peter Gordeno (Keyboards) und Christian Eigner (Schlagzeug) haben an "Spirit" mitgewirkt, das sicherlich nicht zu den Glanzlichtern im Kanon der Band aus Basildon zählt.
Vielleicht ist es auch deswegen schwer, sich vollends für die nun veröffentlichte Box "Spirit The 12" Singles" begeistern zu können. Die Auskopplungen "Where's The Revolution", "Going Backwards" und "Cover Me" finden sich hier in verschiedenen Remixen, die sich konsequenterweise im elektronischen Bereich aufhalten. Dabei sind gerade die Versionen von "Where's The Revolution" in ihrer Experimentierfreude zwar annehmbar, aber insgesamt auch wenig erhellend. Fast schon erwartungsgemäß hat der Franzose Terence Fixmer einen sehr straighten Technotrack vom Original produziert, der allerdings wirklich vom Feinsten ist. Ebenso kann der Ewan Pearson Kompromat Dub mit einem an "Personal Jesus" erinnernden Beat frühere Fans mit dem Song versöhnen.
Bei "Going Backwards" standen mit Chris Liebing und Solomun zwei weitere arrivierte Musikproduzenten aus der Technoszene bereit; vor allem Letztgenannter versprüht mit seinem Remix eine latente Disco-Euphorie, die in gleichen Teilen befremdlich und erfrischend wirkt. Überraschend klingt "Cover Me" vor allem in der porös-ravigen Neuabmischung von Ellen Alien, und der I Hate Models Cold Lights Remix (ja, der heißt wirklich so!) mit seiner fast schon an EBM gemahnenden Strenge lässt ebenfalls aufhorchen.
Die eigentlichen Helden dieser üppigen Box sind aber zweifelsfrei andere: Soulsavers haben "Poison Heart" neu eingespielt und dem Lied die Energie verpassst, die es benötigt. Das Projekt hat ja bereits erfolgreich mit Dave Gahan zusammengearbeitet ("Longest Day" zählt nachwievor zu den schönsten Songs, die Dave je eingesungen hat), und auch dieses Mal zündet der shabby fuzzy Rocksound in Verbindung mit der Stimme des Sängers, der auch auf "Spirit" den sonoren Glanz zu Gunsten verklärter, "spiritueller" Höhen aufgegeben hat.
Vor allem ist es aber die Highline Session von 2016, welche die Band in New York aufgenommen hat und in Klang und Performanz noch einmal den unangefochten guten Ruf als große Liveband untermauert - inklusive einer Coverversion von David Bowies "Heroes", die dem Großmeister der Pop-Kultur ein würdiges Denkmal setzt. Die siebte Scheibe in diesem Paket entschädigt daher für einige Längen der übrigen Tonträger. Eine separate Veröffentlichung dieser Session wäre ob ihrer großartigen Qualität vielleicht die bessere Wahl gewesen. So bleibt sie nur Teil eines umfangreichen Release, das vor allem für den eingefleischten Fan eine, wenngleich auch kostspielige, Investition darstellt.