Manche Alben altern wie Milch. Andere wie ein guter Wein. Und dann gibt es da noch dieses seltene, göttlich glitzernde dritte Level: Musik, die einfach gar nicht altert. Und genau so ein Teil ist uns heute zufällig wieder in die Hände gefallen. DEN.C.T.BUG – Elektrostadt, eine gebrannte CDr-Fan-Edition aus den frühen 2000ern. Nicht silbern, sondern in diesem typischen leicht schimmernden, durchscheinend-gräulichen CDr-Look, mit aufgedrucktem Label, ordentlich produziert, ganz ohne Edding-Gekrakel oder krumme Klebe-Etiketten. Verpackt in einer feinen Jewel-Case-Hülle, irgendwo zwischen Fanliebe und minimalistisch-unterkühltem Understatement. Und was sollen wir sagen? Die CDr läuft noch. Im Ernst. Kein Hängenbleiben, kein „Unbekannter Datenträger“ – sondern: Zack! Beats! Bässe! Elektrostadt! Liebhaber! Isolation!
Wir erinnern uns vage an den Tag, an dem das gute Stück ins Haus flatterte – es muss 2004 oder 2005 gewesen sein. Die Welt war damals eine andere: Facebook gab es glaube ich nur in Harvard. Angela Merkel war noch keine Kanzlerin. Wir trugen Hosen mit Schlag und hatten polyphone Klingeltöne. YouTube war noch nicht mal gegründet. Und irgendwo in Ansbach bastelte eine Band mit dem charmant technisch anmutenden Namen DEN.C.T.BUG an düsteren, kantigen Tracks mit Textzeilen wie „Wir leben alle in der Isolation.“ Damals dachten wir: Wow, ganz schön dystopisch. Heute denken wir: Holy shit, das war eine Vorahnung! Beim Re-Listening heute kriecht dieser Satz direkt ins Hirn und entfaltet da eine kleine, aber nachhaltige Corona-Flashback-Explosion. Isolation? Hatten wir. Mehrfach. Inklusive Toilettenpapier-Apokalypse und sozialer Vereinsamung per Verordnung. Nur dass Elektrostadt damals schon wusste, wie sich das anfühlen würde. Visionär ist also gar kein Ausdruck.
Musikalisch ist das alles auch heute noch eine Wucht. Keine Spur von angestaubtem Windows-98-Restgeräusch, sondern immernoch frisch, fett und wunderbar maschinell-unmenschlich, wie es sich für ordentlich gemachte Dark Electro/EBM gehört. Die Bässe drücken, die Stimmen beißen, die Arrangements tanzen auf der Rasierklinge zwischen Club und Kontrollverlust. Es ist, als hätte jemand die digitale Entfremdung vertont – und zwar mit Stil. Natürlich mussten wir direkt nachschauen, was eigentlich aus DEN.C.T.BUG geworden ist. Und siehe da: Die Band hat sich 2020 tatsächlich nochmal gemeldet – mit einem Album namens Spleen. Auch schon wieder fünf Jahre her. Damals hatten wir sogar eine kleine News dazu geschrieben – ganz ambitioniert mit dem Gedanken: „Da machen wir auch noch ein Review.“ Ja. Haben wir natürlich nie. Klassiker. Aber vielleicht wird’s ja noch was – immerhin hat uns Elektrostadt heute eindrucksvoll daran erinnert, wie relevant gute, elektronische Musik sein kann. Auch mit zwei Jahrzehnten auf dem Buckel.
Denn: Wer heute noch bei Spotify durch die Algorithmushölle klickt, um irgendwas mit „dark“ oder „electro“ zu finden, bekommt oft nur müde Midtempo-Monotonie mit Instagram-Ästhetik. Aber hier? Hier brennt die alte Schule. Richtig. Schön. Eingängig. Unversöhnlich. Damals haben wir Elektrostadt als Fan-CDr bestellt (und selbst bezahlt) , es in unsere Sammlung aufgenommen und wahrscheinlich drei Monate nonstop gehört, bis wir es aus Versehen zwischen einem alten Covenant-Promo und der „Reise, Reise“-Papphülle von Rammstein eingeklemmt haben. Und dann? Vergessen. Heute bei der Inventur (Regal 4, Fach B) wiederentdeckt. Und was soll man sagen: Es war ein kleines Wunder. Denn: Die CD läuft noch. Die Texte wirken. Die Beats sind - wie schon gesagt - scharf wie am ersten Tag. Und wir stehen da, 20 Jahre älter, ein bisschen faltiger, ein bisschen weiser – und nicken im Takt. Dankbar, dass manche Musik nicht vergeht. Und dass wir damals bestellt haben. Inklusive Porto.
Wir sagen: Danke, DEN.C.T.BUG. Für Elektrostadt. Für die Isolation. Und für die Erinnerung daran, wie Musik sein kann, wenn man sich noch traut, mit Haltung und Haltungslosigkeit zu experimentieren. Ob’s irgendwann nochmal was Neues gibt? Wer weiß. Wir wären bereit. Und wenn nicht, hören wir halt Elektrostadt. Immer und immer wieder.
Den.C.T.Bug - Elektrostadt

Nordische Nostalgie in Schwarz: Songs Of Hiraeth von Panopticon

Oha! Ein neues Panopticon-Album im August 2025 – aber eigentlich ist 'Songs Of Hiraeth' ein musikalisches Zeitfenster zurück in die Jahre 2009 bis 2011. Damals, als Smartphones noch mit Tasten kamen, das Reisen ohne Google Translate ein Abenteuer war und Austin Lunn samt Partnerin Bek mit Rucksack und offenen Ohren durch Norwegen und Nordamerika streiften. Kein TikTok, kein Algorithmus, nur Berge, Fjorde, Zeltplätze und viel Musik – und genau daraus entstand das, was jetzt, 14 Jahre später, als nostalgisch veredeltes Werk das Licht der Welt erblickt.Wer den Namen Panopticon hört, denkt automat...
Steve Von Till - Alone in a World of Wounds

Manche Alben brauchen einfach ein bisschen länger – nicht weil sie sperrig wären, sondern weil man ihnen einfach den Raum geben will, den sie verdienen. Das Release 'Alone In A World Of Wounds', das bereits am 16. Mai 2025 erschienen ist, gehört genau in diese Kategorie. Ja, wir hätten natürlich schon längst etwas dazu schreiben können. Aber ganz ehrlich: Nach dem ersten Durchlauf haben wir erstmal die Kopfhörer zur Seite gelegt, tief durchgeatmet und uns gedacht: „Wow. Das muss jetzt erst mal sacken.“ Und dann war plötzlich Juni. Und dann Juli. Und dann hat der Redaktionskater auf der Tastatu...