Kontrovers? Ich habe mich für ein klares „jain“ entschieden. Mit der Gründung von Death in June und der Entwicklung von dem, was später als Neo Folk zu hitzigen Diskussionen darüber führen sollte, was Kunst darf und wie sehr die schwarze Szene von rechter Ideologie oder zumindest Akzeptanz dafür unterwandert ist, zeigten Tony Wakeford und Douglas Pearce eine neue Seite an sich, insbesondere, was die Nutzung politisch aufgeheizter Symbolik betraf. Der Rest ist Geschichte, die man nun gutheißen, akzeptieren oder verdammen darf und soll. Doch es gab auch eine Zeit und ein Leben vor Death in June. Es gibt Menschen, die suchen in ihrem Leben die Extreme. Ohne es darauf reduzieren zu wollen, möchte ich behaupten, dass bei der Entscheidung, welches politische Extremspektrum man favorisiert, das Umfeld, die Familie und damit in gewisser Weise der Zufall eine Rolle spielt. Pearce und Wakeford starteten Crisis und machten sich dafür stark, Position einzunehmen gegen Rassismus, rechtes Gedankengut und kapitalistische Ausbeutung. Damit gehören sie zu den eher frühen Vertretern der Punk Bewegung im UK und verglichen mit ihrem späteren Schaffen ist vor allem textlich ein Unterschied deutlich: Unter den Banner Crisis agierte man unzweideutig. Denn während Death in June und Sol Invictus bis heute im dunkelgrauen Bereich nebulöser Interpretationsmöglichkeiten wabern und sich winden, bezog man unter dem Banner Crisis klar Stellung. Nun veröffentlichen die Franzosen von Steelwork Machine eine wunderbare Compilation, die alle Studioaufnahmen von Crisis plus kleinem Bonus zusammenfässt, und damit Death in June und Crisis unmissverständlich nebeneinander stellen. Vielleicht ganz gut so, eine Trennung erscheint bei aller Unterschiedlichkeit schizophren. Ab von alledem sind Crisis allen Freunden frühen Punks sicherlich ein Begriff. Für alle anderen gilt: spartanisch dünne sirrende Gitarren, drückende Linien auf der Bassgitarre, Kneipen-tauglicher Gesang mit sehr schönem britischem Akzent und wunderbar scheppernde Drums – ich schätze Crisis allein wegen ihres rohen und doch nicht stumpf klingenden Sounds. Die wirkliche Stärke lag aber in der Erschaffung sehr entspannter, bisweilen rock’n’rooliger Riffs (wie bei „Afraid“, bei der Douglas Pearce nur erahnen lässt, wie er später den reichen Klangteppich von Death in June gesanglich bereichern wird) und mitreißender Melodien wie bei den in meinen Ohren stärksten Sonds „Holocaust“ und „UK 78“. Auf ‚Revenge is sweet‘ hat man alles draufgepackt, inklusive einer kleinen 7“ mit starken Live-Versionen von „Kannada Kommando“, „On TV“ und „Red Brigades“. Zwei Fragen muss man sich nun stellen: Brauchte es eine weitere Compilation der Werke von Crisis und warum sollte man bei dieser hier zugreifen: Ich habe bereits Holocaus Hamns bei mir im Schrank stehen und bin damit eigentlich gut versorgt. Jedoch freue ich mich über diese Veröffentlichung, stellt sie doch in Sound und optischer Aufbereitung eine echte Verbesserung dar. Komplettisten müssen sich also überlegen, ob sie noch mehr (Hübsches) vom immergleichen brauchen. All diejenigen, die Punk entdecken, Crisis noch nicht kennen oder sich mit den Ursprüngen des Neo Folks und (an vielen Stellen) dem Sound einer sich entwickelnden schwarzen Szene befassen wollen (der sich an vielen Stellen bei Crisis wiederfindet), der kann hier ein wirklich wertiges Paket erstehen. Crisis – Revenge is sweet Steelwork Machine / 07.05.2022 https://www.steelwork.fr/ CD: 01. Not own hall 02. Frustration 03. Militant 04. Afraid 05. UK78 06. PC 1984 07. On TV 08. White Youth 09. Kanada Kommando 10. Holocaust 11. Bruckwood Hospital 12. Red Brigades 13. Alienation 14. Kill kill kill 7“: Side A: Kanada Kommando Side B: On TV / Red Brigades