Eine wahrhaft königliche Aufgabe war es, die sich die selbsternannten „Könige der Spielleute“ Corvus Corax gestellt hatten, die Neuvertonung von Liedern aus der Carmina Burana. Nun sind ja die Carmina Burana für eingefleischte Mittelalter-Fans nichts neues, bedienten sich schließlich schon viele einschlägige Combos der berühmten Vorlagen. Neu ist jedoch, daß sich meines Wissens nach noch keine solche Band an ein komplettes Album mit orchestralen Neuinterpretationen der Carmina Burana herangewagt hatte. So stellt „Cantus Buranus“ eine echte Premiere in diesem Bereich dar. Zunächst mal mehr zu den Carmina Burana selbst: Entstanden ist diese wohl bedeutendste Sammlung mittelalterlicher Lieder um 1230, wo genau ist nicht bekannt. Die Handschrift, die 1803 im Kloster Benediktbeuren gefunden wurde, beinhaltet über 250 Texte christlicher Singspiele und weltlicher Vaganten-, Liebes- und Trinklieder. Nur zu wenigen der Texte sind die Noten überliefert, was darauf schließen läßt, daß die Melodien zu dieser Zeit allgemein bekannt waren. Auch kennt man nur wenige Verfasser der Texte. In den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts erlangten die Carmina Burana durch Carl Orffs gleichnamige klassische Umsetzung weltweite Berühmtheit. Aus diesem Grunde entschlossen sich Corvus Corax kurzfristig, ihr Werk in „Cantus Buranus“ umzubenennen, um etwaige Verwechslungen mit der Orff'schen Fassung zu vermeiden. Wer die Vertonung von Carl Orff kennt, sollte diese beim Einlegen der „Cantus Buranus“ schnellstens in die hinterste Schublade seines Gedächtnisses verbannen. Covus Corax haben sämtliche ausgewählten Texte mit neuen Melodien versehen. Die Gemeinsamkeit mit Orff besteht lediglich darin, daß ebenfalls mit Orchester (in diesem Falle dem Philharmonischen Orchester des Staatstheater Cottbus) und Chören (drei an der Zahl, dem Opernchor des Staatstheaters Cottbus, dem Chor „Ivan Pl. Zajc“ aus Zagreb und dem Prager Vocal Ensemble Psalteria) gearbeitet wurde. Neben diesen wirken zahlreiche Gäste mit, u.a. Sven Friedrich (Zeraphine), Syrah (Estampie), B.Broiler (ex Inchtabocatables) oder Frau Schmitt (Subway to Sally). Herausgekommen ist ein wahrhaft einzigartiges Werk, das die Harmonie der Klassik mit der Dynamik der mittelalterlichen Instrumente vereint. Einzelne Stücke herauszugreifen wäre fehl am Platze, was dieses Album in erster Linie auszeichnet ist seine Geschlossenheit. Sämtliche Tracks fügen sich nahtlos aneinander, nichts fällt unangenehm aus dem Rahmen. Mit höchster Präzision wurden 400 Tonspuren (!) von insgesamt 170 Mitwirkenden zu einem Ganzen vereint. Die Kompositionen stehen der aufwendigen Produktion in nichts nach. Obwohl stellenweise der typische Corvus-Corax-Sound durchklingt, wurden die lateinischen Texte mit größter Sensibilität umgesetzt, so daß wir es hier nicht nur mit Bombast-Hymen, sondern auch mit ausgesprochen intimen Momenten zu tun haben. Abgerundet wird die klassische Orchesterproduktion durch Corvus Corax' mittelalterliche Instrumente. Dudelsäcke und Schlagwerk (hier werden die Spielleute übrigens von Potentia Animi unterstützt) sind, obwohl deutlich vernehmbar, harmonisch in das große Ganze eingebettet, verleihen den Carmina Burana aber eine spannende Rauheit und Authentizität. Genau diese Kombination ist es, die „Cantus Buranus“ so faszinierend macht. Habe ich bisher über die Bezeichnung „Könige der Spielleute“ immer etwas gelächelt – Corvus Corax gehörten nicht unbedingt zu meinen Favoriten – muß ich meine Meinung nach Anhören der „Cantus Buranus“ nun gründlich revidieren. Die sieben „Raben“ haben sich mit ihrem 15. Album selbst übertroffen und ein Opus geschaffen, das weitab von Dudelsackgeschrammel eine ganz unbekannte Seite der bekannten Mittelalter-Band zeigt. Dringende Kaufempfehlung an alle Mittelalter-Fans, die auch der klassischen Musik gegenüber aufgeschlossen sind. Ab 08. August 05 steht neben der normalen CD-Fassung auch eine limitierte CD/DVD in den Läden, die Tongenuß in 5.1 Dolby Surround-Qualität verspricht und als DVD-Bonus eine Aufzeichnung der öffentlichen Generalprobe vom 30. Januar im Staatstheater Cottbus enthält. Des weiteren ist eine DVD-Aufzeichnung der Konzerte am 19. und 20. August 2005 in Planung.