Schauen wir einmal vorbei an den Großen in Sachen Folk Metal, wenden wir unseren Blick gen Osten und begrüßen wir Evgen 'Chur' Kucherov. Mit seinem Soloprojekt ist er seit 2005 ausgesprochen fleißig und nach mehrmaligem Hören des vierten Albums, das heuer auch in euren Briefkasten landen könnte, bin ich ausgesprochen froh, ihn musikalisch kennenzulernen.

Angenehmer, meist klarer und variabler Gesang, Gitarren (mit und ohne Strom), Keyboards, Percussions und die Drumprogrammierung sowie als Bonus die Sopilka (Wikipedia sagt Kernspaltflöte), Drymba (Wikipedia nennt es Bügelmaultrommel) – mit all diesen Werkzeugen erzeugt Chur einen äußerst stimmigen Sound, der fürwahr keinerlei Innovation mit sich bringt aber erstaunlich viel Freude bereitet. Das Cover lässt bereits erahnen, dass dieser Folk Metal ritterlich-epischen Pathos mit sich bringen könnte – das Hauptaugenmerk liegt meines Erachtens auch eher auf den metallischen Elementen, während der Folk harmonisch ins Gesamtbild eingefügt wurde. Ich muss schon sagen, es ist eine Freude, die Verflechtung bekannter aber toll umgesetzter Elemente so geschickt zu erleben und dann einen unbekannten Namen auf der Verpackung zu lesen. Chur klingt professionell, lebendig und angenehm abgemischt – diese Stunde Musik wird und wird mir nicht langweilig, auch wenn ich nun wirklich kein Freund vieler Folk Metal Alben bin und mir entweder der Kitsch, der Pathos, die Zerrissenheit zwischen Folk und Härte oder die Beliebigkeit der Melodien schnell auf den Zeiger gehen. In "битва під конотопом [battle of konotop]" zum Beispiel ist das Wechselspiel zu Beginn des Songs aus verletzlichem Gesang, dezent abgemischten Samples von Schlachten und quäkigen Sackpfeifensounds ganz wundervoll gelungen bevor man in den wuchtig pathosgeladenen Refrain verfällt. Und hört euch auf jeden Fall einmal "дике поле [wild steppe]", "Freedom or death" oder die wunderbare letzte Minute von "Dancer" an. Mir gefällt besonders, dass Chur zwar härtere Metalgefilde andeutet, indem er an Stellen wie beim erwähnten Ende von "Dancer" mit rauher Stimme abschließt, andere Bands wären aber mit röhrenden Growls und wuchtigeren Riffs wesentlich plakativer vorgegangen.

Leider muss ich zu einem wenig überraschenden und dennoch ausgesprochen ärgerlichen Part kommen: Politik. Nach Jahren des Hörens von Black/Folk/Ambient Black Metals und Neo Folks ist man ja vorbereitet und so checke ich oft einmal quer, wen man da eigentlich unterstützt. Und auch wenn es traurig ist, aber auch bei Chur wird man wie bei so vielen Bands östlicheren Gefilden zumindest halb fündig: Bei seinen eigenen Veröffentlichungen stieß ich nicht wirklich auf Negatives, jedoch beteiligte er sich 2008 an einer Split, die über das ausgesprochen unerfreuliche Label Stellar Winter Records rausgehauen wurde und auch auf einer 2012 erschienenen Split ist da ein formschönes(?) Sonnenrad zu sehen – ja, ist kein Beweis, aber leider viel zu oft von den Falschen verwendet und von zu vielen billigend in Kauf genommen.

Mir ist wichtig, den letzten Absatz zu formulieren, mir ist es aber auch wichtig, dennoch meine Begeisterung für vorliegendes Album zum Ausdruck zu bringen. Es ist musikalisch wunderbar liebevoll gemacht, Folk Metal Freunde müssen ein Ohr riskieren und ich bin gespannt, ob ich noch einmal etwas von Chur hören werde.

 

Chur

Four-Faced

 

04.10.2019

 

https://churfolkmetal.bandcamp.com/album/four-faced-album

 

01. Goddess

02. Four-faced

03. Дике поле [Wild Steppe]

04. Paradise

05. Туга [Sorrow]

06. Dancer

07. Битва під Конотопом [Battle of Konotop]

08. River

09. Freedom or Death

10. Outro – Степова спека [Steppe Hot]

11. фломастерні брови [marker eyebrows] (bonus track)