Canaan - The Unsaid Words

Wer sich ein wenig umhört oder auf Recherche-Tour geht, der stellt bald fest, dass die Dark Wave-/Gothic-Szene in Italien nicht besonders groß, oder um nicht gar zu sagen - vielfältig - ist. Die wenigen bekannten Musiker, die in bella Italia zuhause sind, haben es hingegen in relativ kurzer Zeit geschafft, weltweite Erfolge zu feiern. Kirlian Camera und Ataraxia sind hier zwei herausragende Beispiele. Woran es liegen mag, dass so hervorragende Gruppen wie beispielsweise Pulcher Femina (siehe hierzu auch die Rezension zu "Fallen Angel"), Dismal ("Rubino Liquido - three scarlet drops") oder Canaan, die in diesen Tagen bereits mit ihrem fünften Longplayer aufwarten, noch ein etwas ungerechtes Schattendasein fristen, ist vielleicht recht einfach zu erklären: Weder steht eine der drei genannten Bands für eine Form von Musik, die man massentauglich und tanzflächenkompatibel nennen könnte, noch haben die zumeist sehr kleinen Labels das nötige Kleingeld, um aufwändige, breit gestreute Marketing-Aktivitäten in Gang setzen zu können. Der Weg in die meinungsbildende und verkaufsfördernde Szene-Presse oder gleich in die CD-Regale der Händler ist damit oft ein schwieriger oder - schlimmstenfalls - unmöglicher. Umso mehr sind diese Bands und Labels daher auf die inzwischen auf eine beachtliche Anzahl angewachsenen Independent- und E-Zines angewiesen, deren Macher und Schreiber nicht (nur) auf die "Großen", aufs Geld (und damit auf die Werbeseiten) sowie das "bloß nicht anecken" schauen, sondern sich auch die "kleinen, neuen Unbekannten", die Frechen, die Eigentbrötler und erfrischend anders Kreativen unter die Lupe nehmen. So erfreut es also, wenn immer wieder kleine, funkelnde Edelsteine den Weg auf den heimischen Schreibtisch finden um entdeckt zu werden. Das neue Album von Canaan verdient es allemal entdeckt zu werden, doch gänzlich unbekannt ist das italienische Quartett nicht mehr, verkaufte sich doch ihr 1996 erschienenes Debüt-Album "Blue Fire" ohne jegliche Promotion weltweit mehr als 5.000 Mal! Ihr viertes Album "A calling to weakness" erzielte sogar Verkäufe von über 6.000 Stück und wurde damit zum bisherigen Bestseller des ausschließlich männlichen Quintetts. Der fünfte Longplayer "The unsaid words", ist ein sehr düsteres, depressives und atmosphärisches Werk, das absolute Aufmerksamkeit, Ruhe und Einfühlungsvermögen erfordert, um dessen tiefgründige Schönheit zu erkennen. Eine Schönheit, deren Entstehungsprozess mehr als ungewöhnlich ist: Bereits zu Beginn des Jahres 2004 entstanden die ersten Aufnahmen, doch anstatt - wie bei den meisten Bands üblich - sämtliche Tracks zu komponieren, ggf. eine Auswahl zu treffen und diese anschließend komplett im Studio einzuspielen, ist "The unsaid words" als eine Art Stückwerk bzw. aus einer Sammlung von Fragmenten und in Prozessen der permanenten Konstruktion und Dekonstruktion geboren worden. Selbst die Vocals wurden separat aufgenommen und erst gegen Ende der Produktion beim letzten Feinschliff eingegliedert. Eine Arbeitsweise, so möchte man meinen, die ein Album Gefahr laufen lässt, zu einem zerrissenen, inhomogenen und sich im Diffusen verlierenden Konstrukt zu werden. Doch das Gegenteil ist hier der Fall: Mauro (Gitaree, Keyboard, Samples und Vocals), Luca (Schlagzeug und Keyboard) and Matteo (Gitarre und Bass), die Canaan Anfang 1996 nach der Auflösung ihrer Doom-Band Ras Algethi gegründet hatten, reisen zusammen mit Andrea und Nico auf "The unsaid words" in düstere, experimentelle Gefilde. Auf vielfältige Weise entfaltet sich das Canaan'sche Universum, das nach Aussagen der Band lediglich aus den drei Koordinaten "Nichts", "Niemals" und "Nirgends" besteht´, in seiner vollen Pracht: Die Sehnsucht und Melancholie flächiger, atmosphärischer Keyboardsounds verschmilzt mit der sonoren, weichen Stimme Mauros, der Romantik Canaans Muttersprache, der Kraft und Intensität zweier (!) flirrender Gothic-Gitarren und dem verhalten eingesetzten, aber rhythmusgebendem Schlagzeug. Trostlosigkeit und Verzweiflung, Melancholie und Schwermut bilden den Grundtenor des Albums - hier und da fühlt man sich sogar ein wenig an Fields of the Nephilim oder an The Garden of Delight erinnert. Die Songs sind leicht, fragil und kraftvoll-intensiv zugleich. Das Wechselspiel der zwei E-Gitarren und den flächigen Synth-Passagen gleicht einem Wechselbad der Gefühle. Canaan erschaffen großartige Melodien, die den Songs trotz ihrer Schwere und Depressivität Flügel zu verleihen scheinen. Die bewusst an vier Stellen eingesetzten kurzen "Fragmente" lockern das Album auf und offenbaren zauberhafte, vielschichtige Kompositionen. So umschmeichelt etwa auf "Fragmente # 3" der Wind des Orients die Sinne, Klänge wie aus 1001 Nacht, eine musikalische Fernreise in eine Welt voller Schätze und Geheimnisse. Songs wie "This world of mine", "The possible nowheres" oder "Nothing left (to share)" haben das Zeug, große Klassiker des düsteren, atmosphärischen low-tempo Goth-Rocks zu werden. "Senza una risposta" und "Il rimpianto" hingegen offenbaren in ihrer zurückhaltenden, leichtfüßigen Schönheit und erzählerischen Anmutung eine wohlige Wärme und Geborgenheit, welche die deutsche oder englische Sprache hätten hier niemals erzeugen können. Der Titel-Track "The unsaid words" ist eine mitreißende, vom Refrain dominierte Hymne, ein großartiges Crescendo, ein balladesker Rocksong epischer Dichte. Mit jedem Song wird ein wenig mehr verständlich, warum Canaan so lange für die Zusammenstellung des Albums gebraucht haben. "The unsaid words" ist facettenreich und vielfältig wie ein Reifungsprozess, ein stetiges Dazulernen, ein Wachsen und sich entwickeln, an dessen Ende eine höhere Erkenntnisebene steht. Die Gruppe selbst jedoch bringt den "roten Faden" des Albums in ihren eigenen Worten am besten zum Ausdruck: "If 'A calling to weakness' was a chant of pain and solitude, 'The unsaid words' is a soundtrack of knowledge. Of the knowledge of an unavoidable physical and psychological withering." Eine beklemmende Erfahrung, wie gut dieses Wissen tut.

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