Boytronic - Living Without You

Boytronic - Living Without You

Die Rückkehr einer wahren Legende kündigt sich hier in Form von gleich zwei Maxi-CDs an. Den etwas älteren unter Euch wird sicherlich noch, wie auch mir, der Song „YOU“ im Ohr nachklingen – jener Titel, mit dem Boytronic bereits im Jahr 1983 ihren endgültigen Durchbruch erzielten. Doch nach diesem fulminanten Startschuss musste die Band eine turbulente und von vielen Veränderungen geprägte Geschichte durchleben. Dazu gehörten unter anderem eine komplette Neubesetzung der Bandmitglieder sowie langwierige Streitigkeiten um die Rechte am Bandnamen. Nach dem ersten Album „The Working Model“, einem Meilenstein, der sich nachhaltig ins kollektive Gedächtnis der Elektropop-Szene eingebrannt hat, folgten zwar noch ein paar weitere Veröffentlichungen (wie beispielsweise „The Continental“), die unter echten Kennern und Enthusiasten des Genres bis heute Kultstatus genießen. Für den durchschnittlichen Hörer jedoch schien die Band auf rätselhafte Weise in der Versenkung verschwunden zu sein, als hätte sich ihr Name mit der Zeit langsam aus dem öffentlichen Bewusstsein gelöscht.

Umso überraschender und erfreulicher ist nun die Nachricht, dass Boytronic im Jahr 2002 in nahezu Originalbesetzung wieder auf der Bildfläche erscheinen – gleichsam wie ein Phoenix, der aus der Asche emporsteigt. Im Gepäck haben sie dabei nicht nur eine brandneue Single mit dem vielversprechenden Titel „Living Without You“, sondern auch ein komplett neues Album namens „Autotunes“, dessen Erscheinung für Ende Oktober 2002 angekündigt ist. Allein diese Rückmeldung auf die musikalische Bühne wäre schon berichtenswert genug, doch wer mehr über die Hintergründe, die Entstehungsgeschichte und die Beweggründe für diese Wiedervereinigung erfahren möchte, dem sei unser ausführliches Interview mit Boytronic sowie ein Besuch ihrer offiziellen Homepage wärmstens ans Herz gelegt. Dort könnt Ihr tiefere Einblicke in die Entstehung des neuen Materials, die künstlerischen Ambitionen der Band und ihre Zukunftspläne erlangen.

Widmen wir uns nun aber den besagten Maxi-CDs etwas ausführlicher. Zunächst fällt auf, dass der geneigte Käufer hier wieder einmal vor der Qual der Wahl steht, denn es sind gleich zwei Maxi-CDs erhältlich. Dieses Phänomen ist in letzter Zeit auffällig häufig zu beobachten – es scheint fast, als ob es in Mode gekommen wäre, eine Veröffentlichung in mehrere Sammlerstücke aufzuspalten. Doch in diesem spezifischen Fall ist die Doppelstrategie durchaus nachvollziehbar: Während die erste Maxi-CD eine ausgewogene, für den „normalen“ Gebrauch im heimischen CD-Player vollkommen ausreichende Zusammenstellung bietet, handelt es sich bei der zweiten Maxi-CD um eine wahre Fundgrube für Hardcore-Fans und Extremsammler, die einfach nicht genug bekommen können. Dankenswerterweise wurden die interessantesten Remixe jedoch bereits auf der ersten CD vereint, sodass man als gelegentlicher Hörer nicht zwangsläufig zu beiden Veröffentlichungen greifen muss.

Kommen wir nun zum musikalischen Inhalt, denn hier wird es besonders spannend. Beide Maxi-CDs umfassen jeweils fünf Tracks und bereits auf der ersten Scheibe wird man förmlich in die Klangwelt hineingezogen. Nach der obligatorischen „normalen“ Radioversion von „Living Without You“ folgt ein Remix von Ronan Harris (bekannt durch seine Arbeit mit VNV Nation), der es wirklich in sich hat. Er hat es geschafft, aus dem Originaltitel ein waschechtes Trance-Highlight zu formen – ein Stück, das unüberhörbar seine Handschrift trägt und zweifellos sowohl die treue Fangemeinde als auch die Clubgänger begeistern wird. Die Clubs dürften auf diesen Track nur gewartet haben: Sein energetischer Sound, gepaart mit der charakteristischen VNV-Nation-Ästhetik, wird auf der Tanzfläche garantiert für ausgelassene Stimmung sorgen.

Doch damit nicht genug: Gleich im Anschluss folgt ein Fairlage-Remix, der in puncto Tanzbarkeit in nichts nachsteht und somit eindrucksvoll beweist, wie vielseitig das Ausgangsmaterial von Boytronic ist. Für jene unter Euch, die schon einmal über Neuroticfish gestolpert sind, dürfte der Name Fairlage ein alter Bekannter sein, da er durch diverse Remix-Arbeiten in der elektronischen Musikszene längst einen hervorragenden Ruf genießt. Aber alle guten Dinge sind bekanntlich drei: So steuert DJ RAM aus Moskau einen weiteren überzeugenden Track bei, der problemlos in jedem Club seine Berechtigung finden wird. Zusammen bilden diese Remixe ein packendes Trio, das die tänzerischen Facetten des Originals in schillerndsten Farben ausmalt.

Den Abschluss der ersten Maxi-CD bildet der fünfte Track, „A Tune Called Emotion“, der mich auf Anhieb gedanklich in die 80er-Jahre zurückversetzte. Diese kleine Zeitreise gelingt nicht zuletzt dank der fast schon „antiken“, wunderbar nostalgischen Sounds und einer Songstruktur, die durch ihre ruhige, eingängige Melodie sowie den gefühlvollen Gesang überzeugt. Hier offenbart sich die Band von einer sanfteren, melodiösen Seite, die man nach den vorrangegangenen, temporeichen Mixes besonders zu schätzen weiß.

An dieser Stelle muss ich noch einmal hervorheben, wie auffallend abwechslungsreich alle Remixe geraten sind. Obwohl sie auf demselben Song basieren, klingen sie doch so unterschiedlich, dass ein äußerst unterhaltsames, vielschichtiges Hörerlebnis entsteht. Eine solche Vielfalt ist auf Maxi-CDs selten anzutreffen! Gleiches gilt im Übrigen auch für die zweite Maxi-CD, die ihrerseits mit weiteren Mixen und Interpretationen des Titels aufwartet. Hier fällt insbesondere nochmals ein erneuter Ronan-Harris-Remix auf, bei dem man mitunter schon sehr genau hinhören muss, um die Verwandtschaft zum ursprünglichen Song auszumachen. Dieser radikale Ansatz dürfte für Genre-Puristen ebenso spannend sein wie für aufgeschlossene Musikliebhaber, die Freude an klanglichen Experimenten haben. Ebenfalls hervorheben möchte ich den Ural 13 Mix, der mit verspielten, teilweise fast humorvoll anmutenden Klangexperimenten eine Brücke in die Vergangenheit schlägt und sich damit erneut als potenzieller Club-Kandidat qualifiziert. Die Synth-Elemente erinnern an die „goldenen 80er“, was ein wohliges Gefühl der Vertrautheit weckt.

Fassen wir nun ein abschließendes Urteil: Der Song „Living Without You“ selbst zeigt sich von einer straßentauglichen, fast schon poppigen Seite, was ihm ein hohes Maß an Zugänglichkeit verleiht. Doch erst durch die kluge Auswahl der Remixer ist es gelungen, diesen Track in eine Reihe einzigartiger Elektro-Perlen zu verwandeln, bei denen nahezu jeder Hörer seinen persönlichen Favoriten finden dürfte. In meinem CD-Player liefen diese beiden Maxis jedenfalls auffällig häufig auf Rotation, was für ihre Qualität und Vielseitigkeit spricht.

Einen kleinen Wermutstropfen gibt es allerdings: Um wirklich alle Variationen, Mixes und Facetten dieses Comebacks zu sammeln, muss der Fan zu zwei separaten Maxi-CDs greifen. Eine kompakte EP oder MCD, die alle Versionen vereint, wäre möglicherweise kundenfreundlicher gewesen. Als gelungenes Beispiel für eine solche Veröffentlichung sei hier kurz Assemblage 23 und ihre aktuelle Maxi „Document“ genannt, bei der alle relevanten Tracks auf einem Tonträger zu finden sind. Dennoch mindert dieser Umstand die musikalische Qualität von Boytronics Rückkehr nicht allzu sehr. Im Gegenteil: Die beiden Maxi-CDs sind ein eindrucksvolles Lebenszeichen einer Band, die lange Zeit verschwunden war und nun in neuem Glanz erstrahlt – ein musikalischer Phönix, der sich die Bühne zurückerobert und den Fans ein reichhaltiges Klangmenü serviert, das ihnen lange in Erinnerung bleiben wird.

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