1999 erschien mit "Child of glass" ein bemerkenswertes Album eines bislang wenig bekannten, aber umtriebigen Berliner Künstlers, der damals vielleicht noch nicht geahnt hatte, welchen Erfolg er eines Tages haben würde. Jetzt, eine Dekade später, weiß er es genau. Chris Pohl, kreativer Kopf von Blutengel, hat wie kaum ein anderer Künstler eine unverkennbar eigene Handschrift, die einerseits für seinen Erfolg verantwortlich ist, ihm aber andererseits auch oft den Vorwurf eingebracht hat, ewig nur dasselbe zu machen. Tatsächlich schwelgt seit 10 Jahren jede einzelne Veröffentlichung in der Blutengel-typischen Düsterromantik und -poesie. Doch da Chris Pohl unbestritten ein Händchen für Gothic-Pop-Ohrwürmer hat, freut man sich doch immer wieder auf neues Material. Mit seinem siebten Album "Schwarzes Eis", das regulär als Doppel-CD erscheint, aber auch in einer limited edition mit einer weiteren dritten CD, haben der Musiker und seine zwei attraktiven Musen erneut einen düster funkelnden Stein aus den Tiefen der Finsternis ans Tageslicht befördert. Zweifelsohne wird „Schwarzes Eis“ wieder eine Menge Liebhaber, aber auch Kritiker finden. "Schwarzes Eis", in seinem Artwork edel in frostigen Blau- und Graustufen gehalten und in einem schicken Pappschuber eingebettet, umfasst zwei CDs, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben scheinen, auf den zweiten Blick aber das Ergebnis einer guten Idee sind, die Vielseitigkeit von Blutengel einmal mehr unter Beweis zu stellen. CD 1, ebenfalls "Schwarzes Eis" betitelt, ist ein ganze 15 Titel umfassenden Album in der typischen Mixtur aus einigen Hits und waschecht konzipierten Ohrwürmern, einigen zu Klassikern taugenden Stücken sowie – diesmal so gut wie nicht vorhandenen – Fülltiteln, von denen sicher auch jeder seine Liebhaber finden wird, die aber in der Masse dann doch eher untergehen. Leider bleibt es nicht aus, dass man beim ein oder anderen Titel – ist man mit einem Gros des Blutengel-Werkes vertraut – einen alten wiederzuerkennen glaubt, sei es textlich oder von den Melodiebögen her, doch irgendwie ist das auch irgendwie egal – denn Chris Pohl hat nie behauptet, sich mit jeder Veröffentlichung neu erfinden zu wollen, im Gegenteil. Dafür hat er mit den unterschiedlichsten Projekten einfach auch schon zu viel anderes ausprobiert. Clubkompatible Stücke wie "Kind der Nacht", "The Only One", "Schneekönigin" (DER Hit des ganzen Albums schlechthin) oder das starke, mit Elektropop liebäugelnde "The Dream" schaffen es locker, die Single-Auskopplung "Dancing in the light" blass aussehen zu lassen, und an den weiblichen Gesangsstimmen wurde offenbar hart gearbeitet, waren diese doch bei fast jedem Album ein kleiner Wermutstropfen. Nur wenige schaffen es wie Chris Pohl, Stücke seiner Couleur auch in der deutschen Sprache edel und anmutig klingen zu lassen. In den 15 Titeln findet sich im Grunde kein wirklicher Ausreißer (lediglich "Schatten" verlangt doch einiges an Toleranz ab), selbst das so richtig old school-EBM-mäßig anmutende "Dreh dich nicht um" nimmt man Blutengel gern ab und sorgt für Bewegung, selbst wenn direkt am Anschluss mit "Broken Girl" eine verträumte Ballade ans Ohr dringt oder mit "Secret Places" eine hervorragend gesungene Pop-Perle. Die finale Piano-Ballade "Nightfall" bildet einen würdigen Albumabschluss – fast wie ein liebevoller Gutenacht-Kuss – um in einen sanften Traum hinüber zu geleiten, wo die Welt hinter dem Spiegel wartet ... In acht zu einer Art Lebenszyklus konzipierten Stücken verführt das reine Instrumentalwerk "Behind the mirror" zum Zurücklehnen, Entspannen und Träumen. Beats und Clubtauglichkeit wurden außen vor gelassen, was blieb, ist eine Reise auf der anderen Seite des Ichs, eine Reise von Geburt an, die alle wichtigen Erfahrungen im Leben eines Menschen widerspiegelt: auf der Suche sein, Verwirrung, Verführen und Verführt werden, Hoffung und Leiden, das Gefühl, nach Hause zu kommen – und natürlich der Tod. In dichten, atmosphärischen Synthie-Epen voller Dramatik und Sehnsucht zeigt sich Chris Pohl von seiner bisher sanftesten Seite – und die steht ihm gut. "Schwarzes Eis" ist ein kurzweiliges Album, das wunderbar zu den unterschiedlichsten Gelegenheiten und Stimmungen gehört werden kann und eigentlich die meisten Top-Titel enthält, die je ein Blutengel-Album hatte. Bei der nächsten Berlin-Reise ist das Album auf jeden Fall im Gepäck, denn Goth-Pop aus der Hauptstadt passt einfach immer!