Wenn David Pümpin Musik macht, dreht sich die Welt ein Stückchen langsamer. Die Hektik des durchgetakteten Alltags wird aufgebrochen und Platz für innere Reflektionen geschaffen. Ob das vielleicht der Grund ist, weswegen Blindzeile noch nicht die Aufmerksamkeit bekommen hat, die es eigentlich verdient? Das Dream-Pop-Projekt aus der Schweiz erwartet von seinen Hörerinnen und Hörern ungeteilte Aufmerksamkeit, was in unserer heutigen Welt der Gleichzeitigkeiten ein immer schwierigeres Unterfangen wird.

Wer sich aber die Mühe macht, wird belohnt. Denn "Unruhen" gibt es in der Musik von Blindzeile keine. Federleichte Gitarren und pluckerndes Schlagwerk werden von unaufdringlichen Basslinien sowie hauchfeinen Synthesizern begleitet und schaffen ein tönernes Himmelbett, in das man sich gerne fallen lässt. Der Albumtitel manifestiert sich auf einer anderen Ebene: im Text nämlich.

Doch auch hier geht David nicht mit verbalen Vorschlaghämmern an die Sache, sondern bleibt in einem schwebenden, bildreichen Duktus, der die "Unruhen" der Wörter sanft auffängt. Dabei gelingen dem Musiker aus Basel wunderbare Zeilen, über die es sich prächtig sinnieren lässt. "Solange du fehlst, bist du ein Teil von mir" ist so eine Sentenz aus dem Eröffnungsstück "Nach dir". Das lyrische Ich trifft zufällig seine verflossene Liebe wieder und wird sich seiner inneren Zerrissenheit gewahr: Das Ende war unumgänglich und nötig, doch das Loslösen fällt schwer. Erst, wenn die Gefühle verstummen, ist die Abnabelung vollzogen. Ein an für sich auswegloser Kampf, denn: "Etwas von mir hast du mitgenommen, darüber war ich nicht eingeweiht." Richtig abschließen kann und will der Protagonist dieses Kapitel seines Lebens vielleicht auch nicht.

In ähnlicher Stimmungslage befindet sich "Hager", das wie eine Reflektion über das Scheitern einer Beziehung anmutet. Dabei wirkt die Lyrik teilweise schon analytisch-unterkühlt. "Du brauchst nicht zu lügen, ich urteile nicht. Uns ist beiden bekannt, warum sich Befremden einschlich." Vordergründig gibt sich die Textfigur abgeklärt und emotionslos, aber die Worte hallen dennoch nach. "Du bist hager geworden, ohne gewachsen zu sein. Du vermeidest Augenhöhe, machst dich entweder groß oder klein." In diesen Wörtern klingt Bitterkeit an. Bitterkeit über die Erkenntnis, das Ende zu weit hinausgezögert zu haben und nicht wahrhaben zu wollen, dass die einstige Verbindung ein Konstrukt aus Verdrängung und Schönfärberei war, dessen Implosion bereits immanent gewesen ist.

Die "Unruhen", über die sich Blindzeile Gedanken macht, sind aber nicht nur auf privater Ebene verhandelt. Zumindest kann ein Song wie "Drehung", dessen Metaphorik sehr viel Interpretationsspielraum zulässt, auch Gedanken über aktuelle politische Strömungen zulassen. Ähnliches gilt für "Glorifizierung", das ebenfalls keine explizite Situation, sondern nur ein vages Gefühl beschreibt, das man auf verschiedene tagesaktuelle Ereignisse transferieren kann. Der gemeine Misanthrop wird sich in seiner Weltsicht auf jeden Fall bestätigt fühlen.

Über die ganzen Grübeleien ob der enigmatischen Texte darf aber nicht vergessen werden, dass "Unruhen" in erster Linie ein musikalisch hochansprechender und gleichsam anschmiegsamer Longplayer geworden ist, der seine Großartigkeit fast unbemerkt der Hörerschaft unterjubelt. Realisiert man die stille Größe des Albums, kommt man von ihm nicht mehr so schnell los. Um es mit einem Song aus "Unruhen" zusammenzufassen: Das vierte Album von Blindzeile ist "Überragend".