operettAmorale ist das Tribut von Black Sun Productions an die Gedichte von Bertolt Brecht. Das Projekt besteht aus Massimo & Pierce, die während der Live Aufführungen 2002 von Coil die Rolle der Geister hatten, aber auch durch ihre Installation "Plastic Spider Thing" im Jahre 2003 von sich reden ließen (die ich leider nicht sehen konnte, da mir das Projekt zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt war). Das Intro "Brothel Tango" führt den Hörer in das Kabarett der 20er Jahre ein, die nicht passender für die Worte von Brecht sein könnten. Massimo & Pierce haben sich für „operettAmorale“ musikalisch von Fabrizio Modonese Palumbo, wie auch vom "The Slow Club Orchestra" unterstützten lassen, welches vom letztgenannten geleitet wird. Unüberhörbar ist der Einfluss von Herrn Palumbo, der auch Bandmitglied von "Larsen" ist, die hierzulande unberechtigterweise noch unbekannt ist. Tatsächlich gelingt es dem Intro eine verrauchte Atmosphäre zu schaffen, die den Vorhang für die nächsten 50 Minuten öffnet. Um "The Ballad of Sexual Dependency" aus der Dreigroschenoper vorzutragen, wurde Lydia Lunch an das Mikrofon geholt. Mit ihrer verführerischen Stimme gelingt es bestens, den Verfall der Männer aufzuzeigen. Dazu reicht es aus, die Arrangements sehr minimal zu halten und man konzentriert sich textlich auf die Ausmaße, zu der die sexuelle Hörigkeit führen kann. Erst bei "Pimp Ballad" sind Massimo & Pierce zu hören. Nicht ohne Grund, handelt dieser Text im Original von Brecht von der Beziehung zwischen dem Zuhälter zur Hure, nur wurde letztgenannte für diesen Track in einen Stricher abgewandelt, denn beide Künstler haben sich in ihrer Vergangenheit auch prostituiert. Würde der Hörer es nicht besser wissen, scheint der Text von Bertolt Brecht für Black Sun Productions geschrieben worden zu sein, denn er klingt nicht vorgetragen, sondern als würde diese Situation sich tatsächlich abspielen. "Ratschläge einer älteren Fohse an eine jüngere" ist der erste Track auf deutsch, für welches eins der erotischen Gedichte des Autors vertont wurde und das Wortspiel mit dem Titel des Albums operettAmorale aufzeigt, wenn Pierce gewandt beschreibt, welches Verhalten die Frau im Bett an den Tag bringen soll. Mit "Seeräuber-Jenny" wird wieder auf die Dreigroschenoper zurückgegriffen. Nur mit gezielt ausgewählten und monotonen Sounds baut sich eine geheimnisvolle Stimmung um die Figur der Jenny auf. Überraschend ist es vor allem, wenn gegen Ende auch noch HR Giger ein paar Zeilen spricht. Somit konnte der Schweizer Künstler nicht nur für die Anfertigung des sehr ansprechenden und vor allem passenden Covers gewonnen werden, sondern trägt auch noch mit seiner Stimme bei. Es reicht nur ein charakteristischer, immer währender Akkord, um den Worten von "Johnny over the sea" die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Bisher waren die Texte von Brecht auf Englisch und Deutsch zu hören, aber bei "La canzone dei pendagli da forca" reiht sich nun auch noch die italienische Sprache ein. Rein nur mit Piano und kreischenden Vögeln, haucht Massimo der Kritik der Galgenvögel Leben ein. Auf "A list of wishes" ist Johnn Balance von Coil zu hören, der leider verstorben ist und dessen Lücke verdeutlicht wird, die er gesanglich in der Musiklandschaft hinterlassen hat. Bei der "Ballade von der Höllenlili" wird auf "Happy End" zurückgegriffen, für die Brecht die Liedtexte geschrieben hat. Musikalisch lehnt sich der Track sehr an die 20er Jahre und lässt eine lockere leichte Stimmung aufkommen. Danach kümmert man sich tatsächlich nicht mehr um Morgen, sondern nur um die Gegenwart. "Über die Verführung von Engeln" entstand in Zürich, dem momentanen Wohnort der beiden Projektmitglieder und wurde von Bertolt Brecht als Thomas Mann signiert. Sehr einfühlsam und sensibel, erlaubt Pierce dem Hörer mit seiner flüsternden leise Stimme, die es den Hörer erlaubt, sich die Szene bildhaft vorzustellen. Zu guter Letzt endet das Album mit einem weiteren Beitrag von der Dreigroschenoper, nämlich mit "What keeps mankind alive?", einer Frage, die wohl nie an Aktualität verlieren wird. Mit einer bedrohlichen Stimmung werden die Gründe genannt, die die Menschheit überleben lassen. Wenn der Laser im Player nicht mehr aktiv ist, wird der Hörer sehr zum Nachdenken angeregt, wurden doch Texte vertont, deren Autor schon seit 50 Jahren tot ist, aber heutzutage nichts an ihrer Bedeutung und Aktualität verloren haben. Ein Album, das nicht nur für Liebhaber von Brecht gedacht ist, sondern auch für jene, denen er unbekannt geblieben ist. Es ist die Möglichkeit, sich ihm auf eine andere Art und Weise zu nähern. Dabei haben sich Massimo & Pierce sehr große Mühe gegeben, eine ausgewogene Auswahl von dem sehr umfangreichen Werk von Brecht zu bedienen, indem auf bekannte Lieder aus der Dreigroschenoper zurückgegriffen wurde, aber auch auf die erotischen Seiten des deutschen Autors hingewiesen wird. Musikalisch wurde eine sehr beeindruckende Mischung gefunden, indem grundsätzlich die sehr elektronische industrielle Ader des Projektes die Grundlage für das Album ausmacht, sich aber durch die Teilnahme von Larsen und seinem Orchester den nötigen organische Einfluss erhalten hat, der einerseits stark an die Zeiten des Kabaretts erinnern lässt, andererseits den Liedern eine gewisse Zeitlosigkeit verschafft.