Es ist endlich draußen: Album Nummer 4 der wunderbaren Katie Austra Stelmanis. Es dreht und dreht seine Runden in unseren Hallen und lässt mich leider musikalisch etwas ratlos und irgendwie wenig bewegt zurückt.

'HiRuDiN', benannt nach dem Sektret, dass Blutegel ausstoßen, um bei der 'Arbeit' die Blutgerinnung des Spenders zu hemmen, ist das Album einer Frau, die von sich selbt sagt, sie habe sich aus toxischen Beziehungen gelöst und diese mit dem Album musikalisch verarbeitet. Ich erkenne auch in den Texten eine gewisse persönliche Schwere und kann gut zulassen, dass man entfesselt aus ungesunder Umklammerung etwas unbestimmt durch die Gegend streift. Dann muss aber auch das Urteil erlaubt sein, dass Austras viertes Album entweder ihr deutlich schwächstes oder der Übergang in eine neue Phase darstellt und ich als Fan vor allem des Debüts und des dritten Werkes 'Future politics' nicht mehr wirklich die Zielgruppe darstelle.

Denn auch wenn die Vorabsingle "Anywayz" traumhaft schön in alten Erinnerungen gräbt, stellt der Opener doch quasi als einziger (wirklich überzeugend) die alte Austra dar: Denn Katie Stelmanis hat nicht nur eine ganz wunderschöne Stimme mit sehr hohem Wiedererkennungswert, nein, sie verpackte dieses Talent bisher gekonnt in nostalgische 80er Sounds, denen das kleine Kunststück gelang, genauso hohen Wiedererkennungswert zu haben. Keine Selbstverständlichkeit, sind doch die 80er nicht nur damals sondern auch gegenwärtig in so vielen Stilen bis hin zur Extreme beim Synth Wave schweres Belagerungsgebiet unendlich vieler Projekte. Die unbeschwerte Tanzbarkeit, der Mut, quäkiger zu klingen als andere, das gewisse neben der Spur laufen, das sie in meinen Ohren mit Künstlern wie Kate Bush und Björk vergleichbar werden ließ – ja, das gibt es so richtig nur beim ersten Song. Denn bereits "All I wanted", das zugegebenermaßen eine ganz bezaubernde kleine Nummer ist in seiner Zerbrechlichkeit deutet bereits die neue Richtung an. "How did you know?" schließlich macht es bereits deutlich, obschon auch noch sehr gut: Austra ist nun in großen Hallen zu Hause, in epischen Autowerbespots und in modernen Streamingportalen. Der Sound ist wesentlich moderner, lässt die 80er nur noch selten deutlich aufblitzen. Nach dem zugegebenermaßen wirklich schönen Start, der zwar bereits den Wechsel deutlich machte, aber die Hoffnung ließ, dass die Transition gelungen ist, geht es in meinen Ohren bergab. Drei Lieder, die ich sehr gerne mag, die folgenden sechs (plus 2 Filler) kommen nicht über ein 'ist okay' heraus. "Your family" wäre ein super Interlude, wenn sich nicht zwei andere auf die Scheibe verirrt hätten, die deutlich weniger hörenswert sind. Als Song ist mir das Stück aber nicht genug um es öfters hören zu wollen. Auch vorab ausgekoppelt scheideten sich an "Risk it" und dem Chipmunk Gesang im Refrain im Netz bereits die Geister – mir ging die Diskussion relativ am Steiß vorbei, da das eigentliche Lied wenig spannend ist und damit eigentlich keiner Diskussion bedarf. Ganz gruselig wird es dann für mich mit "It's amazing" – ich stehe so gar nicht auf Stadium Pop und das hier sind die ganz großen Gesten. Wo verdammt ist meine Austra? Ist das wirklich die gleiche Person, die für "The choke", "Utopia" oder "Gaia" verantwortlich war? Und ist das wirklich ein Kinderchor, der "Mountain Baby zusammen mit der radiotauglichen Pianomelodie zu einer Nummer werden lässt, die Stevie Wonder auch hätte besingen können? Und ja, "I am not waiting" and "Messiah" erinnern wieder ein wenig an den Sound der drei vorangegangenen Werke, aber wirklich gut sind sie auch nicht, nur eben so okay.

Ich hebe beschwichtigend die Hände und bin mir sicher, Austra wird mit diesem Werk mehr Herzen erreichen und das ist gut so, denn sie hat eine traumhafte Stimme, eine gute Message und wer sie live erlebt hat, ist gewiss nicht enttäuscht gewesen. Aber das hier ist so gar nicht mein Album und ich bin wirklich froh, dass uns die drei ersten Alben geschenkt wurden, mit denen ich mich in meine Höhle zurückziehen kann. Früher war alles früher! Basta!

 

Austra

HiRuDiN


 

01.05.2020

Domino Recordings


 

https://austra.fyi/

 

01. Anywayz

02. All I wanted

03. How did you know?

04. Your family

05. Risk it

06. Interlude I

07. It's amazing

08. Mountain baby (feat. Cecile Believe)

09. I am not waiting

10. Interlude II

11. Messiah