Fast sieben Millionen Menschen, die mittlerweile von Hartz IV leben müssen. Immer weniger enfristete Jobs, immer mehr Unsicherheit, längere Arbeitszeiten, größere Wege zur Arbeit und kürzere Wege zum Arbeits- und Sozialgericht. Immer weniger Respekt, immer mehr Respektlose. Da wird schon mal einem Busfahrer beim Aussteigen mit der Faust bzw. mit gezücktem Messer und einen „schönen Gruß aus Solingen“ Angst eingejagt oder der Obdachlose an der nächsten Straßenecke liegend mal eben ausgelacht. Einfach nur so, aus Spaß an der brutalen Freud. Diesen Eindruck, dass das Leben in Deutschland (im weitesten Sinne) sozial nicht gerade leichter geworden ist, werden bestimmt nicht wenige Menschen teilen. Teilen wahrscheinlich auch mit einer Band aus Bayern namens Apron. Denn man kann wohl kaum behaupten, dass sich jemand, der diese Art von Musik produziert, 100 Prozent wohlig und heimelig in seiner Umgebung fühlt. Es sei denn, man wäre als Musiker ein Poser und stelle gewisse Seelenqualen zu Schau, die man eigentlich gar nicht hat. Und Poseure, das sind die vier musizierenden Passauer sicherlich nicht. Auch wenn sie mit ihrem kreativ-krassen Outfit sicherlich gerne einiges visuell unterstützend zur Schau stellen möchten. Und so vertonen Apron, die zuletzt im Vorprogramm der ebenfalls aus Süddeutschland stammenden Emil Bulls erstmal einem größeren Publikum aufgefallen sein dürften, ihre Beobachtungen und Gefühle mit ihrer sehr aggressiven und wechselnden Stimmungen unterlegenen und (ebenso evozierenden) Musik. Ihre Stücke wirken wie ein Wutschrei in diesem gesellschaftlichen grau-verschmierten Getümmel und Gewusel aus gezückten Ellebogen, den genannten Messern und vielschichtigen Verlustängsten. Die Musiker nennen sich „Apron“, also Schürze. (Habe ich also wieder ein englisches Wort gelernt, das ich vor dem Nachschlagen noch gar nicht kannte). Sie wollen mit dieser Metapher ausdrücken, dass fast jeder, der Teil dieses Getümmels ist eine unsichtbare Schürze trägt, damit er sich gesellschaftlich nicht schmutzig macht, sich nicht besudelt, seine weiße Weste unter dieser schützenden Schürze behält. Also äußerlich, gesellschaftlich rein bleibt. Rein musikalisch stecken die Passauer Künstler sich eigenmächtig in eine Schublade, die sie selbst-reflexiv mit „Crossover Hardcore“ bezeichnen. Ein Label, das die Sache auch ganz gut trifft, denke ich. Denn zarte Spielarten des Funk (funky Basslines u. stark perkussive Rhythmen) werden hier mit Hardcore-Hopps-Riffs und Metallischem verbunden. Das Ganze wird abgerundet bzw. überlagert durch einen System of A Down mäßigen Gesang, der auch vor brutalen Growls nicht halt macht und einen sehr psycho-lastigen Effekt entstehen lässt. Und damit sind wir beim Stichwort – ich habe selten eine deutsche Band gehört, die einen dermaßen hohen Schizo-Faktor in sich trägt, auch wenn einige Bands auf dem deutschen Metal- Sektor sicherlich noch härter und schneller bolzen können. Aber dieser psychotische Faktor kommt, wie einleitend erwähnt, wohl nicht von ungefähr…, sondern, wie sagt Brian Warner alias Marilyn Manson so schön: die musikalische Kunst ist hier nur Spiegel ihrer Zeit bzw. soll uns selbst erst den Spiegel vor`s degenerierte Antlitz halten. Abrupte Rhythmen, Stimmen- u. Stimmungswechsel lassen den Hörer in die Gefühls-Achterbahn einsteigen. Das Anschnallen sollte vorab aber nicht vergessen werden, sonst droht man in der S-Kurve, gefertigt durch schneidende Sechs-Töner - sowie im Looping – mit brutal gegrunztem Gesang und noch tiefer gestimmten Gitarren und weiter erhöhtem Tempo – als Inhalt einer Zentrifuge hinausgeschleudert zu werden. Musikalisch kann man den schräg gestylten Jungs hier schon mal gar nicht vor den bayerischen Koffer pinkeln. Alle am musikalischen Potpourri Beteiligten sind gute Herren ihrer Instrumente, es sind kaum musikalische Schwächen auszumachen. Ein Kritikpunkt könnte hier eher die fehlende Eingängigkeit bzw. einfach der ein oder andere vermisste Synapsen-Knalleffekte produzierende Refrain sein, wie man ihn in dieser Sparte gerade von System of A Down so gerne aufnimmt und sich schon mal dabei erwischt, wie man ihm Auto oder der Alternativ-Disse gerade diesen geradezu süchtig machenden Refrain mitträllern will. Als Resümee lässt sich zusammenfassen, dass die „Schürzenjäger“ hier ein schlüssiges Gesamtkonzept vorlegen. Das fängt bei der „echten“ Motivierung für die aggressive musikalische Darbietung an, geht weiter über den durchdachten Bandnamen, dem hardcorigen Kreuzüber-Stil der handgemachten Musik und endet nicht zuletzt beim tollen, ebenfalls handgemachten und den Gesamteindruck intensivierenden Cover. Hier besteht zweifelsohne großes musikalisches Potenzial, dass in dieser dargebotenen krassen Art wohl eher mit lange etablierten Ami-Acts wie den alten Korn, System of A Down oder Hed.Pe zu vergleichen ist. Wie eingangs erwähnt, für eine deutsche Combo wird hier selten gehörter starker Tobak vorgelegt. Wenn diesem Tobak zukünftig in eine noch prägnantere und kompaktere Form gegeben würde, würde sicher noch einiges mehr an verdienter Aufmerksamkeit erheischt werden. Man braucht nämlich derzeit einfach noch zu viele Durchläufe, um an den Kern der Musik zu gelangen. Außerdem würde eine hier und dort eingestreute „Catchiness“ des einen oder anderen Songs vielleicht nicht schaden, auch im Hinblick auf die alternativ-metallische Tanzfläche. Denn zumindest ein Hit als Teaser für das gesamte Album hat ja noch nie geschadet. An machen Stellen wirkt es aber auch fast schon, als wollten Apron gerade ein vielleicht zu gewollt wirkendes Hitpotenzial vermeiden. Vielleicht um sich nicht anzubiedern?