Ich bin hier noch nicht so lange dabei, und schon will der Chef mich testen. Nix mit Welpenschutz. Da versenkt er doch glatt ein Gothic-Schlager-Album in meinem Review-Briefkasten. Aber, wenn mich das an meine Grenzen bringen soll... weit gefehlt. Herausforderung angenommen! Als bekennender Fan von "The Birthday Massacre" und ähnlichem Gedöns, werde ich auch dieser Veröffentlichung die Aufmerksamkeit geben, die eine objektive Kritik erfordert.

Da haben wir nun also Antilav. Die Band besteht aus Ivan und Elena und kommt, wie die Namen der Protagonisten vermuten lassen, aus Mütterchen Russland. Genauer gesagt befindet sich die Homebase der beiden in Moskau. Gegründet wurde das Projekt 2010, was uns auch gleich den Titel des vorliegenden Albums "Ten Years After" erklärt. Antilav bezieht sich ganz klar auf Bands wie Blutengel und L'Âme Immortelle. Dies ist erst das zweite Fulltime-Album der beiden, jedoch blicken sie auf eine große Reihe veröffentlichter Singles zurück. Ohne Unterstützung eines Labels agieren Ivan und Elena seit 3 Jahren in Eigenregie. Doch nun genug des Vorschwurbelns, kommen wir zum Wesentlichen:

"Ten Years After" empfängt uns mit einem klaviergetragenen "Intro", dass durch eine verregnete Szenerie führt. Dazu setzt eine einsame weibliche Stimme ein, die uns in das Album trägt. Soweit kommt das ganz gut rüber. Im nun beginnenden "Love will never die" wird klar die Richtung vorgegeben. Eine Frauenstimme erklingt angenehm. Doch neben der typischen Instrumentierung erkennt man im Zwischenteil und der 2. Strophe fein eingestreute Distortions.Im Hintergrund umflackert den 4/4 Takt eine kleine Variation. Man hat sich hier echt Gedanken gemacht und das Liedchen ist gefällig zum Durchhören. "Fall down" übernimmt mit einem klar strukturierteren Electrobeat und tanzorientierter Instrumentierung. Der der männliche Gesangspart wird leicht verzerrt vorgetragen. Das Teilchen kann man ohne Bauchschmerzen auf jeder Tanzflache einsetzen, ohne Prügel zu beziehen. Auf Zwischenparts mit Sprachsamples steh ich ja eh. Auch hier macht Antilav keine großen Fehler. Mit "No Hope Left" tönt eine klaviergetragene Ballade aus den Boxen. Balladen sind nicht umsonst die Königsdisziplin, kann man doch hier sehr schlecht mangelhaftes Können hinter überbordenden Arrangements verschleiern. Auf musikalischer Ebene zeigt das Duo, dass es die Klaviatur (hehe, schönes Wortspiel) durchaus beherrscht. Leider stört mich der hörbar künstliche Pathos in der Stimme des Sängers. Ich denke, ohne diesen würde der Titel erst seine volle Wirkung entfalten. "Going down" steigt mit Streichern und Synth-Sample ein. Der Synth wird dann vom Drum umrahmt und eskaliert in einer, von Ivan gekratzt vorgetragenen Strophe. Die Sängerin übernimmt den Refrain, der entsprechend feiner instrumentiert ist. Die ausgewogene Mischung beider Gesangsteile mit dem jeweils stimmigen Wechsel in den Zwischenparts machen den Titel zu meinem vorläufigen Highlight. "Wings of Love" fällt dann leider vollkommen ab. Mit ein wenig zurückgenommenen Distortions könnte er glatt im Vorprogramm von Helene Fischer laufen. Hm, schade (und das mein ich wirklich), das war nix. Leider gilt selbiges auch für "Falling Snow", dem eigentlichen Ärgernis. Dieser Titel ist so schmalzig, dass es mir die Sandaletten kräuselt, also schnell weiter skippen. "Stay with me" steigt mit einem Klavierpart wieder wesentlich gefälliger ein. Ich weiß nicht, ein wenig erinnert mich der Titel an, mit starker Handbremse agierende, Within Temptation. Und die mag ich ja. Leider reicht zur Perfektion weder die schmale Instrumentierung, noch die relativ dünn produzierte Stimme Elenas. Bei "Roses on her Grave" wird es wieder elektronischer. Dies ist ein kleiner, aber ganz guter Electro-Song, bei dem erneut beide Gesangsparts aufeinandertreffen. Auch das ist wieder sehr stimmig angelegt. Ivan beweist tatsächlich, dass seine Stimme ohne künstliches Drama hörbar ist. Sehr postiv fällt auf, dass der Song nahtlos ins "Outro" übergeht. In diesem wird das Regenthema vom Beginn wieder aufgegriffen. Ich muss sagen, fein gemacht!

Hier sind also insgesamt 9 vollwertige Songs, umrahmt von einem In- und Outro. Thematisch ist das Ganze wohl in einer Märchenhandlung angesiedelt. Und dieses Märchen hat, meinem Textvernehmen nach, kein Happy End. Obwohl Blutengel und L'Âme Immortelle eigentlich nicht meinen dringendsten Musikpräferenzen entsprechen bin ich durchaus der Meinung, dass auch diese Art von Musik ihre Berechtigung in unserer Szene hat. Denn, sind wir mal ehrlich, gerade die Vielfalt und die friedliche Koexistenz sind doch die Dinge, die uns so stolz auf uns selbst machen. Und das vollkommen zurecht. All die Rüschenknödel und Lackwürstchen, die auf hohen Plateaustilettos über die Szenerie des WGT flanieren und verzückt feuchte Äuglein kriegen, wenn man den Namen Chris Pohl (für alle Unwissenden: Blutengel) nur erwähnt, erwecken auch den Beschützerinstinkt in uns verbohrten Elektronikern. Also will ich gnädig mein Haupt neigen und der Platte einen Daumen nach oben geben. Dies tue ich, weil man eben merkt, dass die Band echt hinter dem steht, was sie tut, hörbar viel Spaß daran hat und dabei Gespür für Song- und Stimmungsaufbau beweist. Gebt den beiden einen guten Produzenten an die Hand, an der ein oder anderen Stelle etwas weniger Pathos und, wo es eben passt den entsprechenden Bombast, dann kann das echt was Erfolgreiches werden. Da gibt es die oben genannten Vorbilder, die mit wesentlich schlechteren Titeln bei der Masse durchkommen und sogar oberste Chartpositionen besetzen. Bei Antilav ist man gut aufgehoben, wenn man mal ein wenig Seelenschmerz hat, sich ungerecht behandelt fühlt, oder ein Gothic-Girlie beeindrucken will. Aber eine kleine Bosheit zum Schluss sei mir gegönnt: Bitte nehmt ihnen die Telefonnummer von Roland Kaiser weg! 

Anspieltipps: Fall Down, Going Down, Roses on her Grave