Ein Winter ohne Schnee ist einfach kein Winter. Also muss man 2011/2012 zu Hilfsmitteln greifen, denn Frau Holle enttäuscht auf ganzer Linie. Ich habe mir den Schnee deswegen aus Frankreich bestellt, in Form von Alcests drittem Album "Les voyages de l'âme". Denn das Wetter bringt mich einfach nicht in winterlich-romantische Stimmung, wohl aber Neige (= frz. für Schnee) und seine 8 bezaubernden neuen Lieder. "Les voyages de l'âme" ("Die Reisen der Seele") sind ein 50minütiger hypnotischer Trip durch wundervolle Traumwelten geworden. Neige blieb dabei seiner Linie treu und verfeinerte den auf den letzten beiden Alben erarbeiteten Sound nur um Nuancen. Und obwohl diese Spielart selbst nur wenig Ausbrüche aus dem festen Schema bieten kann und sich immer mehr Bands im musikalischen Umfeld von Alcest ansiedeln (und sogar beim selben Label unterkommen) schafft es dieses Projekt wie kein anderes, einen Zauber zu verbreiten, der die Kritikpunkt abschwächt. Der Raum ist erfüllt von Keyboardwänden, vorantreibende aber unaufdringlich abgemischte Black Metal Riffs, ständiger Akustikgitarrenbegleitung und Neiges französischer Gesangsarbeit. Diese ist, wie auch schon auf den Vorgängern, aufgeteilt in fantastisch verträumten klaren Gesang und fauchenden Black Metal Keifgesang (der an Härte und Qualität die meisten "harten" oder "richtigen" Black Metal Bands übertrifft). Diese harten Gesangseinbrüche, die meist auch mit schnellerem Drumming begleitet werden, stören aber nicht den treibenden Fluss und die Sanftheit der Musik sondern sind unabdingbarer Teil dieser. Damit schaffen Alcest eine klare Linie wie sonst keine Band in diesem Genre. Nun stellt sich die Frage, ob die leichten Verfeinerungen im Sound und in den Kompositionen und die weiterhin wundervolle Stimmung (die auch schon auf den Vorgängeralben vorherrschte) ausreichen, um ein weiteres Album zu rechtfertigen und dieses für empfehlenswert zu befinden. Die Antwort muss der Hörer selbst suchen, wohl aber kann ich meine Eindrücke mit auf den Weg geben: "Les voyages de l'âme" erwies sich für mich deutlich als "das dritte Album einer Band". Denn es finden sich einerseits mit dem Titelstück, "Beings of light" und dem in meinen Ohren eher überflüssigen instrumentalen Zwischenspiel "Havens" drei Lieder auf dem Album die nur Standart sind, gewohnte Kost, die kaum aufhorchen lässt und die einen Kauf nicht notwendig machen würden. Die restlichen fünf Stücke stehen aber deutlich auf der "Haben"Seite. Besonderes hervorheben will ich dabei "Autre Temps", dass den Hörer durch den fantastischen Spannungsaufbau perfekt aus der realen Welt abholt und zur Traumreise einläd. "Nous sommes l'emeraude" erweist sich als gelungenes Stück, dass seinen wahren Zauber im Refrain verbreitet. So lebendig, schön, ja fast schon bewegend. Und schließlich mein Favorit "Faiseurs de mondes", das alle liebgewonnenen Eigenarten der Band perfekt zusammenführt und mit großartigen Melodien auf ganzer Länge (immerhin fast 8 Minuten) fesselt. Alcest erfinden ihr eigens entworfenes Rad nicht neu, perfektionieren aber den Sound und schaffen so ein Album, dass immer wieder zum Verweilen und Wegträumen einladen wird. Ich empfinde das dritte Werk dabei als das gelungenste, denn es zeigt sich trotz entwickelter Standarts, dass Neige aus dem festen Bausatz mit engem Rahmen, den seine Musik nur bietet, wirklich besondere Lieder erschaffen kann. Nur die Zeit wird zeigen, ob Alcest diesen engen Rahmen auch weiterhin beibehalten werden oder ob sie auf kommenden Veröffentlichungen doch neue melodische Mittel integrieren werden und müssen, um die Hörerschaft interessiert zu halten. "Les voyages de l'âme" aber ist sozusagen das Juwel des bisherigen Schaffens, verpackt in wundervollem Jugendstil-Artwork.