Gothic und Musical – paßt das zusammen? Wird eine tragische Handlung automatisch zu einem Gothic Musical? Was ist eigentlich ein Gothic Musical? Fragen über Fragen, vielleicht können diese anhand des Beispiels „Rappacinis Tochter“, das von der norddeutschen Band Aeternitas geschrieben und in Szene gesetzt wurde, geklärt werden. Gothic und Musical – tatsächlich stammt der in „Rappacinis Tochter“ adaptierte Stoff von einem bekannten Vertreter der sog. gothic novel. Es ist die gleichnamige Kurzgeschichte des Amerikaners Nathaniel Hawthorne (und man kann jetzt darüber spekulieren, warum ein „c“ unterschlagen wurde). Das paßt soweit schon mal. Aber wer nun an Vampire, Geister oder blutgetränkte Träume denkt, wird schnell enttäuscht werden, denn es handelt sich hier um die kurze Begegnung vierer von Zwängen getriebener Charaktere, eingebettet in ein fast klassisches Romeo-und-Julia-Drama. Auf den genauen Inhalt gehe ich an dieser Stelle jedoch nicht ein, die findet sich bereits im Bericht zum 18. WGT, wo das Singspiel mehrmals im Leipziger Schauspielhaus zu sehen war. Gothic und Musical – wie sieht es also mit der Musik, dem essentiellen Bestandteil, aus? Zunächst muß man wissen, daß die Urheber Aeternitas keine Unbekannten sind, was theatralische Töne anbelangt. Ihren auf den bisher veröffentlichten Alben „Requiem“ und „La Danse Macabre“ eingeführten Stil bezeichnen sie selbst als „Gothic Theatre Metal“, will heißen, Gothic Metal vermischt mit klassischen und, um den Begriff nochmals zu bemühen, theatralischen Elementen. In „Rappacinis Tochter“ allerdings liegt die Betonung ganz klar auf den letztgenannten. So beginnt und endet das Bühnenstück mit einem dramatischen Chor, während im Zentrum die bombastische Ballade „Liebe sprengt die Ketten“, steht. Überhaupt finden sich einige sehr romantische Stücke mit Ohrwurmpotential auf der CD, im Besonderen die Soli bzw. Duette der beiden Liebenden Giovanni und Beatrice. Die E-Gitarren dagegen sind überwiegend den konkurrierenden Wissenschaftlern Prof. Baglioni und Dr. Rappacini vorbehalten, wofür ganz besonders „Das Machtwort“, ein Duett, in dem sich Beatrice gegen ihren Vater auflehnt, sowie Rappacinis „Mein Lebenswerk“ stehen, welche sich als mitreißende Rockhymnen entpuppen und Oliver Bandmann in der titelgebenden Rolle Raum geben, seine hervorragende Stimme gänzlich zur Entfaltung zu bringen. Auch der Gesang der übrigen Darsteller kann sich hören lassen. Alexander Hunzinger, zusammen mit Ehefrau Anja die treibende Kraft hinter Aeternitas, glänzt als Giovanni Guasconti mit weichen Klängen, wohingegen die Stimme des alten Professors Baglioni alias Thomas Heinzelmann passenderweise gedämpfter wirkt. Alma Mathar als Beatrice ist schließlich für den weiblichen Gesang zuständig und hat leider hin und wieder in den höheren Lagen ein bißchen zu kämpfen. Doch das kann man getrost vernachlässigen, denn bei der Live-Aufführung überzeugen die Beteiligten allesamt durch ihr schauspielerisches Können und man stellt nebenbei erstaunt fest, daß es keiner aufwendigen Bühnentechnik oder Tanzeinlagen bedarf, um die Zuschauer zu verzaubern. Ob das reicht, um das Attribut „Gothic“ zu rechtfertigen, halte ich trotz alledem für zweifelhaft. Ich selbst würde das Ganze eher als Rockoper bezeichnen, durch die eingängigen und vereinzelt allzu leicht verdaulichen Melodien durchaus geeignet, eine größere Hörerschaft außerhalb der Szene anzusprechen. Daß dies offenbar gelungen ist, beweisen nicht nur die zahlreichen Aufführungen seit der Premiere im Januar 2008, sondern auch die Verleihung des Rock und Pop-Preises 2008 in der Kategorie Musical für die abgespeckte „Rappacinis Tochter-Highlights“-CD. Letztlich darf eines nicht vergessen werden, ein Musical soll in erster Linie der Unterhaltung dienen und genau das haben Aeternitas deutlich anspruchsvoller umgesetzt, als viele der „großen“ Produktionen, die in letzter Zeit den Markt überschwemmen. Eventuell liegt ja darin die Lösung aller Fragen. -------------------------------- Anmerkung: Neben der besprochenen Audio-CD „Rappacinis Tochter - Gesamtwerk“, ist noch die gekürzte Fassung „Rappacinis Tochter – Highlights“ sowie ein DVD-Mitschnitt des Musicals erhältlich. Die nächsten Vorstellungstermine erfahrt Ihr hier.