Zwanzig Jahre ’Acylum’ – und anstatt sich selbst mit einer wohligen Rückschau, staubigen Remastern und einem „Danke an alle Fans“-Posting zu feiern, treten ’Pedro Engel’ und ’Nadine Engel’ ihrer eigenen Vergangenheit mit Anlauf vors Schienbein. Genau das macht ’XX20XX’ so sympathisch, so wütend und so herrlich unzeitgemäß. Dieses Album ist kein Jubiläumsgeschenk, sondern eine Kampfansage. Während andere Bands nach zwei Dekaden anfangen, ihre Geschichte in Goldrahmen aufzuhängen, zerlegen ’Acylum’ ihr eigenes Werk in Einzelteile und setzen es mit heutiger Produktionsgewalt neu zusammen – lauter, härter, kompromissloser. Nostalgie? Fehlanzeige. Bequemlichkeit? Verboten.
Musikalisch ist ’XX20XX’ ein wuchtiger Schlag in die Magengrube für alle, die Dark Electro und Industrial nicht als gepflegte Szene-Accessoires verstehen, sondern als Ventil für Wut, Frust und diese ganz spezielle Mischung aus Aggression und innerer Leere. Die Beats sind gnadenlos nach vorne gemischt, die Sounds scharfkantig und dicht, als hätte man jede einzelne Spur vorher einmal durch den Fleischwolf gedreht. Dabei wirkt das Album nie wie ein steriles Hochglanzprodukt – im Gegenteil: Alles atmet rohe Energie, alles fühlt sich unmittelbar und unangenehm nah an. Genau so muss das sein.
Was mich besonders packt, ist diese Balance zwischen maximaler Härte und emotionaler Offenheit. ’Acylum’ waren nie nur stumpf brachial, sondern immer auch verletzlich, manchmal sogar unangenehm ehrlich. ’Pedro Engel’ und ’Nadine Engel’ transportieren genau dieses Spannungsfeld auch auf ’XX20XX’ mit einer Selbstverständlichkeit, die man sich nach zwanzig Jahren erst einmal bewahren muss. Hier klingt nichts nach Pflichtübung oder Aufwärmen alter Ideen, sondern nach echter Lust an Eskalation. Man merkt: Diese Band hat noch etwas zu sagen – und sie schreit es nicht aus Nostalgie heraus, sondern aus purer Überzeugung.
Die Remix-Sektion (Track 7 bis 11) ist dabei erfreulicherweise mehr als bloßes Bonusmaterial für Komplettisten. Dass Namen wie ’Nano Infect’, ’Distoxia’, ’Lucifer’s Aid’, ’The Witch Said No’ und ’Derma-Tek’ hier Hand anlegen, sorgt dafür, dass die Grundidee von ’XX20XX’ konsequent weitergedacht wird. Die Remixe wirken wie zusätzliche Tritte, wenn man ohnehin schon am Boden liegt – unterschiedlich im Ansatz, aber immer mit derselben giftigen Energie. Statt das Album auszubremsen, treiben sie es noch weiter Richtung Abgrund. Und ja: Das ist ausdrücklich positiv gemeint.
Unterm Strich ist ’XX20XX’ ein Album für Menschen mit dicker Haut und Lust auf Reibung. Wer Dark Electro nur dann mag, wenn er geschniegelt, gefällig und clubtauglich daherkommt, dürfte hier schnell das Weite suchen. Wer jedoch Freude an kompromissloser elektronischer Musik hat, die aneckt, provoziert und auch nach zwanzig Jahren keinerlei Interesse daran zeigt, leiser zu werden, wird mit ’XX20XX’ bestens bedient. Für mich ist dieses Release der beste Beweis dafür, dass ’Acylum’ nicht altern, sondern schlicht gefährlich bleiben wollen – und genau deshalb sind sie auch 2025 noch relevant.
Medienkonverter.de
Acylum - XX20XX
Rome - The Hierophant
Zwanzig Jahre 'Rome' – das ist kein Jubiläum, das man mal eben mit einer Best-Of-CD und einem Dankeschön-Post auf Social Media abhakt. Dafür war und ist dieses Projekt von 'Jerome Reuter' immer zu eigensinnig, zu unbequem und vor allem zu ernsthaft. 'Rome' war nie Soundtrack für den schnellen Moment, sondern stets Begleiter für lange Abende, schwere Gedanken und diese merkwürdigen Zwischenzustände, in denen Musik plötzlich mehr ist als bloße Unterhaltung.Nach zwei Jahrzehnten, unzähligen Veröffentlichungen und stilistischen Wandlungen schlägt Reuter nun ein neues Kapitel auf – gleich doppelt. ...