Medienkonverter: Gleich eines vorweg: Es tut mir leid. Ich als armer, von Ohrensausen gebeutelter, vielbeschäftigter und natürlich auch viel zu selbstmitleidiger Schreiberling habe ewig gebraucht für diesen Kraftakt hier. Aber liebe Leser: Es hat sich gelohnt. Lehnt Euch zurück und genießt 3460 Worte voll Wolfsheim.

Im August gaben Wolfsheim ihr einziges Deutschlandkonzert im Jahre 2005. Und das in Schwerin. Holterdiepolter. Glücklicherweise konnte ich einen Interviewtermin mit Peter Heppner und Markus Reinhardt erhaschen. Gut ausgerüstet mit Fan-Fragen (Ein großes Dankeschön an dieser Stelle für die rege Beteiligung) und eigenen passionierten Ergründungsversuchen stand ich nun vor dem Backstage-Bereich der Schweriner Freilichtbühne und wartete auf DIE Begegnung mit den beiden Synthiepop-Heroen.

Vorher durfte ich mich aber erst einmal schön von der Schweriner Thalia-Oberleberwurst und seinen trotteligen Sicherheitsbürschchen demütigen lassen. Was für grandiose Pfeifen, ha! Aber vor dem großen Wutausbruch kam dann – nach stundenlangem Warten - doch noch der langersehnte Moment. In der kleinen Garderobe hinter der Bühne ging es dann bei einem gemütlichen Bierchen zur Sache. Die Wolfsheimischen plauderten über 18 Jahre Wolfsheim, ihre musikalische Ehe und den fatalen letzen „Star Wars“ Film. Und weil es so nett war, die Zeit aber zu knapp und meine Fragen noch lange nicht beantwortet waren, ging es zwei Wochen später telefonisch mit JEIN-Sager Peter Heppner per Telefon weiter. Ready to go! Hallo, Ihr beiden. Wie geht es Euch? Macht Ihr gerade Urlaub?

Peter: Nein. Urlaub ist – zumindest bei mir – momentan nicht angesagt. Wir haben in Sachen Wolfsheim erst einmal ein bisschen Pause gemacht, da dies nach den letzten zwei Jahren auch unbedingt nötig war. Ich habe mir momentan gerade ein Privatbüro aufgebaut. Markus hat da andere Sachen gemacht. Es ging aber dabei nicht um Musik, sondern in erster Linie darum das Privatleben mal wieder etwas in den Griff zu bekommen.

Letztes Jahr im August habt Ihr ja bereits in Rostock ein großartiges, sehr bewegendes Open-Air-Konzert gegeben. Dieses Jahr – fast zur selben Zeit – seid Ihr hier in Schwerin gelandet. Ganz bewusst Mecklenburg-Vorpommern oder eher ein praktischer Gig auf dem Weg nach Polen?

Peter: Jein. Da spielt von allem ein bisschen mit. Es ist zum einen Zufall, dass sich der Abend hier heute so ergeben hat, es ist Zufall, dass es auf dem Weg nach Polen liegt und unser Wunsch, in Mecklenburg-Vorpommern aufzutreten, spielt natürlich auch noch mit. Leider gibt es nur selten die Möglichkeit dazu, da zu wenig Leute da sind, die eine größere Veranstaltung tragen könnten. Daher ist es sehr schwierig, solche Veranstaltungen auf die Beine zu stellen. Deshalb nutzen wir natürlich auch die Gelegenheit ganz gerne.

Peter, Dein Verhalten auf der Bühne hat sich – was gerade auf der letzten Tour spürbar war – im Laufe der Zeit gewandelt. Inzwischen sieht man Dich sogar hin und wieder einmal mit Deinem Mikrofon über die Bühne wandern. Ist dieser Wandel Erscheinung einer neuen Relaxtheit?

Peter: Jein. Bei den letzten Touren konnte ich das für mich irgendwann relativ locker sehen, so dass ich auch nicht mehr all zu nervös war. Wir haben eben sehr viel gespielt. Heute wird das beispielsweise sicher wieder anders sein. Wir sind jetzt seit fast einem Jahr nicht mehr aufgetreten. Ich werde heute sehr viel unsicherer sein, als bei den letzten Konzerten. Das darf man also nicht so als Maßstab nehmen.

Könnt Ihr Euch - jetzt nach 18 Jahren Wolfsheim - ein Leben ganz ohne die Band vorstellen und wie wäre Euer Leben ohne die Band verlaufen?

Markus: Das ist wirklich eine ausgenommen komplizierte Frage. Aber auch eine sehr interessante. Ja, was wäre unser Leben heute ohne Wolfsheim? Das ist eine Frage, die wir uns selber auch schon gestellt haben. Es gibt ja Menschen die behaupten, dass sie ohne Musik nicht leben könnten. Ich bin auch ein sehr großer Musikfreund, trotzdem würde ich nicht davon ausgehen, dass ich Musiker geworden wäre, wenn Wolfsheim nicht so gut gelaufen wäre. Wir hätten das dann vielleicht nur als Hobby weitergemacht, weil wir schon Ambitionen haben, das auch machen zu wollen. Diese innere Stimme, kreativ zu sein, hätte sich auf jeden Fall geäußert. Das hätte bei mir auch Film oder etwas anderes sein können. Ein inneres Bedürfnis sich zu artikulieren, sich mitzuteilen beziehungsweise sich selbst zu finden gibt es da natürlich schon. Bei mir ist es dann die Musik geworden. Ein Leben ohne Wolfsheim? Ja, die Frage stellt sich glücklicherweise nicht. Es würde etwas extrem Wichtiges wegfallen, als würde ein naher Verwandter sterben. Keine angenehme Sache darüber nachzudenken.

Peter: Das kann ich nur unterstreichen. Die Frage nach einem Leben ohne Wolfsheim stellt sich ganz einfach nicht, weil es fast keine andere Sachen in unserem Leben gibt, die wir so intensiv betreiben wie dieses Projekt. Eine verinnerlichte Konstante in unserem Leben.

Seid Ihr eigentlich auch privat Freunde oder seid Ihr nur mehr oder weniger ein reines ‚Musikerehepaar’?

Peter: So ein Mittelding, ne? (lacht)

Markus: Das kommt darauf an, wie man das definiert. Also wir hängen nicht zusammen in Clubs rum, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass wir sowieso keine großen Club- oder Partytypen sind. (lacht) Also längst nicht mehr. Wir führen also eher eine Musikerehe, aber auf einer freundschaftlichen Basis. Es ist also nicht nur rein geschäftlich, so dass man sagt „Wir treffen uns nächsten Samstag und dann reden wir nur über Musik.“. Das wäre auch keine Basis, um emotionale Musik zu machen. Da muss man dann schon wissen was der andere fühlt oder was bei dem anderen ankommt. Das ist wichtig, um gut miteinander arbeiten zu können.

Peter: Man nimmt natürlich schon am Leben des Anderen teil, aber ich würde nicht sagen, dass wir beste Freunde sind. Ich glaube, dass ist aber auch ganz gut so, denn das macht unsere „Beziehung“ so haltbar. Wir würden uns nie so fetzen wie gute Freunde das tun können und wir nehmen Sachen auch nicht so persönlich wie gute Freunde das tun würden. Wenn es nötig ist, können wir uns immer auf diese Zusammenarbeit stützen. Das hat bis jetzt immer ganz gut geholfen.

Interessiert Euch eigentlich, was Eure Fans über Euch  denken und schreiben? Lest Ihr das Forum auf Eurer Internetseite, auf dem sich die Fans ja täglich rege über Euch und Eure Musik austauschen?!

Peter: Manchmal lesen wir das Forum. Ab und zu interessiert es mich und dann gucke ich schon mal rein. Da können dann auch schon einmal ein paar Stunden draufgehen, bis man die neusten Neuigkeiten gelesen hat. Also einerseits ist es schon interessant, was die Fans so zu sagen haben, andererseits pflegen wir auch immer ein recht fanunfreundliches Prinzip, denn wir machen ja eigentlich nicht Musik für andere Leute, sondern für uns. Insofern lese ich mir nicht durch, was Fans über einzelne Lieder sagen. Sonst kommt man ganz schnell in die Situation „Viele Köche verderben den Brei“, denn so viele Hörer es gibt, so viele Meinungen gibt es auch.

Synthetische Musik hat ja auch immer etwas mit Technikleidenschaft und Gerätverliebtheit zu tun. Markus, bist Du auch ein großer Synthesizersammler?

Markus: Ich bin froh eine große Zeitspanne in der Synthesizerentwicklung mitbekommen zu haben. Glücklicherweise habe ich heute keinen Kabelsalat mehr zu Hause. Alles ist schön sauber in meinem Laptop. Den kann ich auch überall mit hinnehmen. Ich habe ihn auch hier in Schwerin dabei und wenn es mich überkommen sollte, kann ich auch heute Abend im Nightliner noch Musik machen. Ich habe aus reiner Melancholie die ersten Synthies nicht verkauft, den Rest habe ich aber inzwischen nicht mehr. Es ist echt interessant, sich heute mal anzugucken, was die Dinger damals gekostet haben. Man hatte früher absolut weniger Geld, musste wesentlich mehr bezahlen und heute ist alles sehr günstig zu haben. Wenn man weiß, wie man damit zugehen hat, könnte jemand der ein künstlerisches Output hat, für rund 1500 Euro eine schöne CD produzieren.

Bei Eurem letzten Album „Casting Shadows“ war der Pressetrubel um Euch so groß wie noch nie. Wie schafft Ihr es einen Interviewmarathon immer höflich zu überstehen und jede Frage brav zu beantworten?

Markus: Ich glaube, man beleibt automatisch höflich, wenn man an seine eigene Sache glaubt. Wir haben oft gehört, dass Interviewpartner überrascht waren von unserer Freundlichkeit. Wir waren dann wiederum teilweise von der Unfreundlichkeit einiger Leute überrascht (lacht). Kategorische Fragen nach Albumtitelbedeutung oder Bandnamenherkunft gehen bei uns natürlich ins eine Ohr rein und durch das andere wieder raus. Da schwingen dann bei uns auch keine Emotionen mehr mit. Man kann aber auch nicht verlangen, dass wir darauf dann noch euphorisch antworten. Ich glaube aber, dass wir Mittel und Wege gefunden haben um Interviews auch für uns interessant zu gestalten.

Peter: Ich habe in einem Interview schon einmal zum entsprechenden Nachlesen auf die Homepage verwiesen. Das kann man dann aber auch freundlich tun. Im Grunde weiß man ja genau wofür man sich den ganzen Stress antut. Man muss sich vorher genau überlegen, ob einem das Wert ist. Was wirklich schlimm ist und was wir dann auch unbeantwortet lassen sind permanente Fragen nach unserem Privatleben, wie viele Kinder wir haben oder wie verheiratet wird sind.

Was war die letzte Platte die Ihr gehört, das letzte Buch das Ihr gelesen und der letzte Film den Ihr gesehen habt?

Peter: Die letzte Platte, die ich gehört habe war – auch wenn es jetzt sehr klischeemäßig ist – die neue von Coldplay. Ich komme auch kaum zum Plattenkaufen. Das letzte Buch war ausnahmsweise ein Roman, und zwar „Der Unbesiegbare“ von Stanislaw Lem. In den letzten Jahren habe ich immer mehr Sachbücher gelesen, weniger Romane oder Prosa. Der letzte Film? Oh Gott, der war ganz furchtbar. Der Tod einer Legende, nämlich der letzte Teil von „Star Wars“, der nie hätte passieren dürfen.

Markus: Die letzte Platte war bei mir die „Minimum Maximum“ Live-CD von Kraftwerk. Von der war ich allerdings etwas enttäuscht, da finde ich die Studiosachen besser. Der letzte Film war „Das Mädchen mit den Perlohrringen“ – ein sehr schöner Film. Und lesen tue ich momentan „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel Garcia Marquez.

Peter: (lacht) Das liest Du? Das habe ich irgendwann wütend in den Mülleimer geschmissen, weil ich mich immer fragte, wann der Typ endlich zum Thema kommt.

Elektronische Musik – Eine Herzensangelegenheit oder einfach die praktischste Art Musik zu machen?

Peter: Eigentlich genau letzteres. Es war keine bewusste Entscheidung von Markus und mir elektronische Musik zu machen. Wir fanden uns zunächst zu dritt, später dann nur noch zu zweit wieder und da ist der elektronische Weg dann die einzige Möglichkeit Musik zu machen.

Du bist also kein Elektrofetischist. Das heißt also, dass schrille Gitarrenseitenprojekte für Dich durchaus im Bereich des Realisierbaren liegen?

Peter: Na klar. Gerade bei den Nebenprojekten ging es mir ja immer darum etwas außerhalb des musikalischen Breitengrades von Wolfsheim zu machen. Sonst hätte das nie Sinn gemacht, dann hätte ich immer ausschließlich Wolfsheim machen können.

Stell Dir vor MUTE-Records ruft bei Euch an und fragt, ob Ihr Vorband für Depeche Mode sein wollt. Wie wäre Eure Antwort: Ja oder nein?

Peter: Das ist eine lustige Frage, weil wir von REM schon einmal gefragt wurden und dort leider ‚nein’ sagen mussten. Man wollte uns damals für die gesamte Deutschlandtour von REM als Vorband haben. Das wären ungefähr 5 bis 6 Auftritte gewesen. Letztendlich haben wir aber nur ein Konzert in München wahrnehmen können, da alle anderen Auftrittsorte so sehr in der Nähe von Wolfsheim-Hochburgen lagen, dass sich das Ganze für uns überhaupt nicht gerechnet hätte. Wir haben die Tour also zähneknirschend abgesagt und mit denen nur in München gespielt. Ähnliches würde mit Depeche Mode wahrscheinlich auch passieren. Es sei denn, dass die Tour wirklich so passend wäre, dass sie sich auch mit unseren Pläne gut vereinbaren ließe. Aber ich muss auch ganz ehrlich sagen, dass wir ungern als Vorband spielen würden (lacht). Wir spielen seit ungefähr 8 Jahren nicht mehr als Vorband von irgendwem. Das höchste der Gefühle ist noch Co-Headliner. Ich glaube nicht, dass wir plötzlich mit so einer Support-Geschichte anfangen würden.

Lass uns einmal zur geplanten DVD beziehungsweise Single kommen: Gibt’s da schon Details für unsere neugierigen Ohren?

Peter: (lacht) Jein. Wir sind im Moment gerade dabei dies Single möglichst voll zu bekommen. Das heißt also: Zusätzliche Stücke und Remixe müssen her. Wir wollen diesmal nicht das Übliche haben. Es gibt zwar auch einen Dance-Remix, aber wir sind auch sehr daran interessiert, vielleicht einmal Musiker aus anderen Bereichen das Bearbeiten der Songs zu überlassen. Das ist Moment sehr spannend. Aber ich möchte nicht vorgreifen und zu viel verraten.

Kannst Du Dir irgendeinen Grund vorstellen, der Wolfsheim zur Auflösung bewegen könnte?

Peter: Wenn uns nichts qualitativ ausreichendes einfällt, würden wir uns wahrscheinlich sogar recht schnell auflösen. Unser Grundprinzip war immer, nur die Sachen zu veröffentlichen, die wir gut finden. Wir würden nie grundlose plötzlich mit Wolfsheim aufhören. Wahrscheinlich würde es so laufen, dass wir nicht mehr genügend Lieder zusammenkriegen, die gut genug sind um damit ein Album zu füllen. Aber davon sind wir ja meilenweit entfernt (lacht).

Du hast vor einigen Jahren mal eine Film- beziehungsweise Videofirma gegründet. Kannst Du ein bisschen was über die Arbeit und die Projekte, die daraus hervorgegangen sind erzählen? 

Peter: Gegründet habe ich die Firma zusammen mit Ulrike Rank, die auch nicht ganz unbekannt ist, da sie Goethes Erben eine ganze Zeit lang filmisch begleitet hat. Sie ist auch Grafikerin und eine recht gute Freundin von mir. Im Zusammenhang mit dem Videodreh von „Glasgarten“ in Island, haben wir diese Videofirma gegründet. Wir hatten auch bereits ein völlig unmusikalisches Projekt, bei dem es um integrative Kindergärten in Bremen ging. Das fanden wir sehr interessant und da haben wir uns auch sehr engagiert. Unser Grundprinzip sieht eigentlich so aus, dass wir uns vorrangig Dingen annehmen, die uns selber interessieren. So sind wir dann auch dazu gekommen für die letzte Schiller-DVD eine Dokumentation zu machen. Jetzt produzieren wir mit dieser Firma auch die anstehende Wolfsheim-DVD. 

Ich habe mal gelesen, dass Du immer sehr zielorientiert an Deinen Texten arbeitest. Geschieht dies nur während der unmittelbaren Arbeit an einem Wolfsheim-Projekt, oder schreibst Du auch privat hin und wieder mal ein paar Zeilen?

Peter: Im Moment muss ich mir wirklich Zeit freischaufeln um an Texten arbeiten zu können. Das muss man natürlich gezielt machen. Da brauche ich dann immer ein paar Tage Zeit. Die muss ich mir dann auch von Terminen freihalten. Also ganz spontan geht nicht. Es ist natürlich toll, sich einfach hinzusetzen, wenn einen die Muße küsst. Aber es muss auch unter Zeitdruck funktionieren. Bei „Wir sind wir“ war es zum Beispiel so, dass ich doch drei bis vier Wochen länger gebraucht habe als veranschlagt war. Deshalb war das Lied dann – anders als geplant - doch nicht mehr Titelmusik zur Dokumentation „Das Wunder von Bern“.

Wolfsheim gilt ja oft als DIE Band in Sachen große Gefühle. Politische und sozialkritische Aspekte finden da scheinbar kaum noch Platz. Oder muss man tiefer schürfen und ist der Blick auf die reinen Gefühle nur ein oberflächlicher?

Peter: Bei Wolfsheim bringe ich so etwas schon unter, nur auf einer anderen Ebene – es findet alles auf einer viel persönlicheren Basis statt. Genau darum ging es mir bei Wolfsheim auch immer. Nimm beispielsweise ein Lied wie „Underneath the veil“: Das ist schon sehr politisch, aber auf einer sehr persönlichen Ebene. Das mag dann immer so scheinen, als würden wir nur Lieder über Liebe und Zwischenmenschlichkeiten machen. Das tun wir aber nicht. Es geht primär um die persönliche Sicht von Dingen.

Deine Texte sind ja sinnbildlich – wie Du auch eben schon sagtest – oft mehrdimensional. Vom Metrum, der Reimform, dem rhythmischen Gebilde und der gesamten Struktur sind Deine Verse aber eher einfach und übersichtlich gestrickt...

Peter: Ganz genau. Es ist mir sehr wichtig, dass die Texte verständlich bleiben und dass jeder seinen eigenen Zugang zu den Sachen findet. Das ist natürlich mit sehr theoretischen, höchst komplizierten Formulierungen nicht möglich. Ich muss eigentlich den kleinsten gemeinsamen Nenner finden, damit alle verstehen können worum es geht. Wenn sie dann bereit sind tiefer in den Text einzutauchen, werden sie sicherlich auch da noch fündig werden. Das ist das, was ich in den Texten von Wolfsheim als großen Anspruch empfinde.

Gerade aufgrund der eben ausgeführten Struktur Deiner Texte steckt in ihnen viel mehr als ‚nur’ Musikpoesie. Das lyrische Potential Deiner Worte ist sehr groß. Hast Du schon einmal darüber nachgedacht, dies auch in einem Buch zu verarbeiten?

Peter: Sagen wir es mal so: Ich habe mein Leben lang vor mich hin geschrieben. Deswegen fand ich es auch gar nicht so abwegig, dass Markus mich damals fragte, ob ich für Wolfsheim singen wolle. Ich war ja nicht von Anfang an dabei. Ursprünglich sah mein Lebensplan ganz anders aus. Ich hatte eigentlich vor Künstler oder Schriftsteller zu werden. Dass ich ausgerechnet Musiker beziehungsweise sogar Sänger werden würde, habe ich damals gar nicht als Perspektive gesehen. Wie die Jungfrau zum Kinde – es ist einfach passiert. Markus wusste, dass ich singe und auch lyrisch tätig bin. Aus diesem Impuls heraus ist das Ganze dann auch entstanden. Eigentlich hat der Ex-Sänger von Wolfsheim mich damals vorgeschlagen. Markus hat erst die Stirn gerunzelt und gefragt: „Warum denn ausgerechnet Peter?“. Ich war zunächst auch etwas überrascht von dem Vorschlag. Irgendwie war es aber ja dann doch ganz passend (lacht).

In dem Videoclip zu „Now I fall“ beispielsweise, sieht man Dich malen. Auch die Cover aus der Popkiller-Ära stammen aus Deiner Feder beziehungsweise Deinem Pinsel. Wie Du schon selber sagtest, warst Du schon immer auch über die musikalischen Grenzen hinaus künstlerisch tätig. Hast Du auch Kunst studiert?

Peter: Jein. Ich habe das nicht studiert, obwohl ich mich mein Leben lang – das sind immerhin auch schon deutlich über dreißig Jahre – mit Kunst beschäftigt habe. Deshalb sträube ich mich etwas dagegen zu sagen, ich hätte das nicht studiert. Ich habe kein klassisches Hochschulstudium, aber ich habe mich Zeit meines Lebens sehr intensiv mit Kunst beschäftigt und auseinandersetzt. Daher ist es auf eine gewisse Art auch gleichwertig mit einem Studium. Es gab persönlich Gründe, warum ich nicht auf die Kunsthochschule gegangen bin: Ich habe mir angeguckt, wie es in Hamburg und Bremen an diesen Hochschulen aussieht und festgestellt, dass ich dort nicht das hätte lernen können, was ich wollte. Man hätte mir nicht erlaubt das zu machen was ich machen wollte. Das war mir zu eng und andererseits auch zu weit entfernt von meinen Zielen. Irgendwann musste ich dann enttäuscht feststellen, dass diese Kunsthochschulen mir nichts geben können und dass ich selber aktiv werden muss, wenn ich mich künstlerisch betätigen will. Keine Überraschung eigentlich, so etwas stellt man ja öfter in seinem Leben fest. Zum Glück kam dann schon relativ zeitig der Plattenvertrag mit Wolfsheim. Dann habe ich erst einmal das laufen lassen. Die Sache hat sich ja dann auch recht schnell entwickelt.

Gibt es eine Kunstepoche, die Du ganz besonders favorisierst?

Peter: Das ist schwierig. Es gibt sicherlich in allen Epochen Dinge für die ich mich begeistern kann. Mein Interesse für Dinge die auf dieser Welt passieren hört nicht mit Kunst auf. Ich begeistere mich auch für Archäologie oder Evolutionsbiologie. Das geht bei mir auch alles flüssig ineinander über. Ich mache da für mich interessenbezüglich keine Unterschiede. Aber zurück zur Kunst: Ich würde sagen, dass alles was ab dem 16. Jahrhundert – also der Renaissance – passierte, mir am ehesten zusagt. Alles Vorherige war doch eher theologische Gebrauchskunst. Es hat sich eigentlich erst alles mit der Renaissance befreit. Das sieht man den Stilen auch an. Erst von dort an wurden die Darstellungen auch richtig realistisch. Da beginnt also das, was ich als Kunst verstehe. Alles Andere war eher Handwerk. Das ist vielleicht dann für mich vielleicht noch aus kultureller-, aber nicht aus künstlerischer Sicht relevant.

Man kann sich als routinierter und unkünstlerischer Mensch kaum vorstellen, wie es ist, nur von den Erträgen der eigenen Kunst zu leben. Gerade im Independent-Bereich dürfte das doch sehr schwierig sein, oder?

Peter: Also großen Luxus gibt es nicht. Ich habe mir hier zwar gerade ein Büro umgebaut und eingerichtet - was andere Leute sicherlich nicht so einfach finanzieren können – aber es nicht so, dass ich das Geld rausscheißen kann um mir irgendwelche Luxusbüros zu bauen. Das hat viel mehr mit Notwendigkeiten zu tun. Wir haben nicht angefangen von der Musik zu leben, weil wir das toll fanden, sondern weil die Musik – in dem Sinne wie wir sie betreiben – irgendwann keine Zeit mehr gelassen hat einem anderen Job nebenbei nachzugehen. Dann mussten wir also davon leben. Anfänglich war das Geld auch immer sehr knapp bemessen. Da konnten wir keine großen Sprünge machen. In den ersten zwei bis drei Jahren hatten wir ein höchst durchschnittliches Einkommen. Das lief dann natürlich genau wie bei anderen Selbständigen: Die ersten Jahre hatten wir keine Krankenversicherung, wir konnten uns wenig leisten und dann später kamen noch die Rückzahlungen dazu. Wie das eben so ist in diesem Land als Selbstständiger beziehungsweise Künstler. Mittlerweile ist es so, dass wir unsere Altersvorsorge weitgehend gesichert haben. Trotzdem sind wir keine stinkreichen Leute. So würden wir uns auch nicht sehen wollen. Die Verkäufe sind auch so in den Keller gegangen, dass ausser den Plattenfirmen eigentlich keiner mehr reich wird.

Wie verlebt Peter Heppner seinen Urlaub? Ballermann olee, Strandurlaub a la Sylt oder Kultur hoch drei?

Peter: Das kommt ganz drauf an. In der Regel gilt: Jeder ruhige Urlaub ist ein guter Urlaub. Lärm und Feiern gibt es also nicht. Das habe ich genug im Arbeitsleben. Letztes Jahr sind wir beispielsweise getourt wie nie zuvor, da brauche ich dann keinen Trubel mehr im Urlaub. Allerdings habe ich auch Schwierigkeiten damit zwei Wochen irgendwo rumzuliegen. Da komme ich mir dann unnütz vor und werde unruhig. Schön ist es, wenn man Erholung mit kulturellen Anregungen verbinden kann. Am besten ist es, wenn man irgendetwas besichtigen kann. Sehr gerne genommen von mir sind irgendwelche archäologischen Ausgrabungsstätten.

Wo wir gerade bei Land und Leute sind: Bist Du ein gebürtiger Hamburger?

Peter: Ja. Und ein überzeugter (lacht).

Auch in Sachen Fußball?

Peter: Nein. So lange es nicht um Welt- oder Europameisterschaften geht, bin ich kein Fußballfan. Die Bundesliga interessiert mich eigentlich nicht. Ja Gott... der HSV.

Das war es dann. Danke für Deine Zeit und das Interview.