Ich hatte schon befürchtet, ich hätte meine Liebe zu Anna-Varney Cantodea und ihren Veröffentlichungen mit den Jahren und dem damit einhergehenden wachsenden Findus verloren. Die Auf und Abs der letzten 3 Veröffentlichungen, das Album Children of the corn war so enttäuschend, das es mir schwer fällt, die wenigen guten Songs (2?) zu mögen ohne mit Gram an den ungerechtfertigten Preis zu denken. Warum ich trotz Zweifel und Enttäuschung wieder zur Box gegriffen habe? Mir Nahestehende nennen es Idiotie, ich Wahnsinn und Musiksammler wohl doch verständlich. "Poetica" tönt also aus den Boxen und ich habe das Material der Sonderedition gesichtet: dieses Mal hat sich der Einkauf für mich gelohnt. Deutlich. Mit Poetica scheint ein erneuter Wandel vollzogen zu sein. Vorbei die Phase der fast schon ausufernd gefüllten Arrangements, der starken Nutzung elektronischer Elemente, einer deutlichen Behandlung des Thema Geschlecht und Alben die nach Sopor Maßstäben fröhlich und ausgelassen wirkten.

Die immer professioneller wirkende "Marke" Sopor Aeternus mit Internetpräsenz, Videos, Comics und viel Pink - ja, das ist ersteinmal passe. Poetica ist musikalisch kein Paukenschlag sondern eine Vermischung einiger moderner Elektronik mit einem grossen Teil Rückbesinnung. Traurig, langsam und leise wirkt die Musik von Anna-Varney 2013, als ob ihre derzeitige Gemütssituation sich verschlechtert hat. Und damit einher geht wie so oft in Situationen starker Emotionen viel künstlerische Energie. Alleine die Neuaufbereitung von "Eldorado" (vom lange zurückliegenden Songs from the inverted womb), extrem verlangsamt und deprimierend - wundervoll. Das Album wartet nicht mit großen Hits auf sondern mit einer in den Bann ziehenden Stimmung. Die zum Teil überlangen Stücke sind schön arrangiert, der Zauber liegt im sparsamen Einsatz der Mittel. Dies kann aber auch für viele Hörer eine Geduldsprobe sein. Erfreulich auch, dass das Wiederaufgreifen älterer Beiträge mit viel Mühen geschah: Die Stücke wurden stark verändert und wirken auf diese Weise ganz anders, ganz neu.

Was Sonderedition(en) und beinhaltete Gimmicks angeht: Mir fehlt eine zusammenfassende Box, Shirt und Buch lagen einzeln im Karton. Auch die Masse an Editionen, die eigenwillige Entscheidung, zwei weitere Shirts nur den Käufern der LP Variante zu bieten und das Ausbleiben von Grabschleifen, Lesezeichen oder Kondomen ("...some men tase like chocolate...") kann man auf die Kommerzialisierung schieben. Aber ich will nur leise unken, den das 156-seitige enthaltene Fotoband beinhaltet eine Session im Sumpf, die in meinen Augen endlich wieder an die verstörend betörende Mystik der Le chambre d'echo Zeit anknüpft und stimmig neben dem eigentlichen musikalischen Werk steht. Danke Anna-Varney - ich bin verzaubert und versöhnt.