Jutta Resch-Treuwerth, seit Anfang der 70er das Ostberliner Pendant zum bravorösen Dr. Sommer, schilderte über 20 Jahre lang in der wöchentlichen Kolumne "Unter vier Augen" stets Situationen zwischen Liebenden, welche mitunter das Zeug zum Zündstoff für ausgewachsene Dramen hatten. Immer Mittwochs feierte der Teenager im Blauhemd jene Dame dafür, das sie sich nicht auf die Rolle einer rein technischen Sexualaufklärerin beschränkte. Populär wurde sie vor allem durch die intime Briefform, und ihre unvergleichliche Art Beratung mit persönlichen Erlebnissen und der Poesie des Alltags zu verheiraten. Jutta Resch-Treuwerth weilt nun leider nicht mehr unter uns.

Sara Noxx hingegen, die mit all jenen guten Ratschlägen aufwuchs, sucht nun auf Albumlänge das Vieraugengespräch. Über jenen nicht totzukriegenenden Kreislauf des Liebens. Ja, es ist endlich wieder "Winter again". Jedoch "Exxtasy" für die "Society" gibt es, nach all den Jahren in denen sie lediglich ein erfolgreich musikalisches Single-Dasein jenseits gewohnter Partner führte, vorerst nicht mehr. Sara Noxx hat sich ihres gewohnten Soundkleides entledigt, bemerkenswert entkernt, und es bleibt ein Seelenstriptease übrig, der wie die entwaffnenste Synthese aus Spoken Word und hypnotisch-repetitiven Minimal klingt. Glaubt man eingangs noch für sein Bargeld den femininen Blixxa erstanden zu haben, wähnt man sich bei "My World doesn`t revolve without you" gar schon im sitting room. Dann wieder tupft ein getragenes Piano Wolken an den Himmel, paart sich unaufdringlich aber effektvoll mit atmosphärischer Frequenzmodulation und melancholischen Streichern. Kurzzeitig spekuliert man auf eine "Renaissance" der Elemente von Philip Glass oder John Cale, bis man sich darauf "In the Garret" wie auf einem von Francis Lai vertontem Filmset "Inwardly disintegrated" fühlt. Kopfkino. In dem es pausenlos ums Kämpfen, Erinnern, und Nicht-Aufgeben geht. Man kann an jedem Punkt einsteigen und auch wieder aussteigen.

Sara Noxx will abwechslungsreich Unzulänglichkeiten angehen und Probleme lösen. Probleme, die sie und wir uns selbst stellen. "Entre Quatre Yeuxx" setzt noch unverblümter auf Epik als seine Vorgänger, und weiß dadurch eine Atmosphäre zu schaffen, in welcher der Ansatz sich die Tracks selbst auf den noch heißen Leib zu schreiben, in all seinen Facetten mit einem Höchstmaß an Gefühl zum Tragen kommt. Musik wird hier zur kontextuellen Nebensache, und lässt dennoch die Synapsen flackern. Man darf die Erfindungskraft dieser Musik gewiss nicht zu hoch ansetzen. Doch sie funktioniert, eindeutig. Das zweifelsfrei einnehmende Wesen der dargebotenen Lyrik fesselt dermaßen mit selbstzerstörerischer und selbstverschwenderischer Bodenlosigkeit, das wenn man nicht gerade unter akuter Methrophobie leidet, man sich mitunter tatsächlich genötigt fühlt Einspruch zu erheben, sich zu verteitigen oder gar Trost zu spenden versucht. Wie sehr diese Improvisationen, dieser Minimalismus gewohnte Kontrollmechanismen unterminiert wird insbesondere in "Die Liebe" deutlich. Dieses seltsame Spiel braucht weiß Gott nicht mehr Worte, und ist doch vollends mehrdeutig in seiner Signalwirkung. Aufruf, Erinnerung und SOS zugleich. Auch wenn sich inzwischen Grenzen und Herzen geöffnet haben, bleibt sie sich und ihrer preußischen Seele treu. Vokale und Silbenquantität tanzen im eigenen Takt situativ durch eine multilinguale Liebe zwischen Trümmern.

Im festen Glauben daran, dass ein "Trip to Yourope" die Welt zu einem besseren Ort machen kann, und sie dabei mit ihrem Latein noch lange nicht am Ende ist. "Exx Oriente Luxx". Intim wäre für "Entre Quatre Yeuxx" vielleicht das richtige Wort. Intimität ist ein integraler Bestandteil dieses Albums, und sie macht mitunter nicht unbedingt große Lust auf die große Liebe. Spätestens seit "B.low" weiß man aber nun, das untenrum noch immer Kopfsache ist. Wer liebt, der gibt und nimmt. Im Fall der limitierten Special-Edition profitiert Sara Noxx wahrlich von den Gewinnern des Remixx-Wettbewerbs. Sven Wendelmuth aka Wort-Ton verblüfft, wie auch schon auf der "Weg zurück" Auskopplung aufs Angenehmste. In Mitra Medusa Inri vermögen gar die Version mit Meister Henke in den Schatten zu stellen. Von People Theatre gibt es "Die Liebe" in gewohnt außnehmend geilen Remix, der jedoch in Sachen Intensität nicht ganz ans puristische Original heranreicht. !distain, Vigilante, Technoir, Form Follows Function und all die Anderen geben weitaus mehr als nur eine zusätzliche Signature-Spur. Sie alle verarbeiten die Gefühlsachterbahn höchst sensibel, und doch so individuell das man glaubt die "alte" Noxx würde runderneuert im Club aufblühen.

Das Weniger-wäre-vielleicht-mehr-Gefühl der EP-Auskopplung kommt keine Sekunde auf. Bis auf den Beitrag von Schneewittchen, aber vielleicht ist Hannover ja auch noch nicht weit genug im Westen als das man von da wieder im Osten ankommen könnte.