'Selm' ist das neue Alter Ego der belgischen Brüder Thomas Giets und Nicolas Giets, die laut Discogs zuvor unter Namen wie Egotopia oder Rony & Suzy unterwegs waren – nun also ein Neustart, ein Perspektivwechsel, eine klangliche Häutung. Mit 'dehNUNG' legen sie nämlich ein Album vor, das ebenso gut als Konzeptkunstwerk durchgehen könnte. Acht heftige Tracks, knapp 40 Minuten – aber kein einziger Moment, der beiläufig wirkt. Schon der Titel signalisiert: Hier wird ordentlich gedehnt. Nicht nur Zeit, nicht nur Raum – auch Hörgewohnheiten, Erwartungen, Genregrenzen. Und ja, manchmal vielleicht auch ein bisschen die eigenen Nerven.

Das Album klingt dabei wie ein verlassener Maschinenpark bei Nacht – düster, metallisch, klappernd, mit Rhythmusfragmenten, die eher an Trümmer als an Beats erinnern. Minimalistisch? Absolut. Aber auch voller Kraft. Jeder Sound sitzt. Nichts wirkt zufällig, und doch pulsiert alles wie organisches, lebendiges Material. Die Giets-Brüder arbeiten mit Noise, als wäre es Tonerde. Verzerrung wird hier nicht als Effekt, sondern als Ausdrucksmittel verstanden. Die Musik wirkt oft reduziert bis aufs Skelett, aber niemals kalt – eher wie ein emotional aufgeladener Stillstand, aus dem jederzeit etwas explodieren könnte. Manchmal blitzt ein Groove durch, ein technoider Puls, der fast schon tanzbar wäre, wenn er nicht im nächsten Moment wieder von einer brutalen Soundwand zerlegt würde. Wer hier nach Struktur sucht, wird sie finden – aber eben auf eigene Gefahr. Denn 'dehNUNG' ist kein Album, das sich einem erklärt. Es stellt viele Fragen, ohne aber Antworten zu liefern. Es stellt sich quer, aber mit eindeutiger Haltung.

Und genau das macht mir so viel Spaß. Denn bei aller Ernsthaftigkeit, bei aller klanglichen Strenge schwingt meines Erachtens nach immer auch ein Augenzwinkern mit. Wenn der Bass wie ein vibrierender Vorschlaghammer durch die Boxen donnert, während im Hintergrund fragile, fast zärtliche Texturen auftauchen, fühlt sich das ein bisschen an wie Industrial-Poesie. Vielleicht ist 'dehNUNG' auch eine Art ironische Meditation – für alle, denen normale Meditation zu esoterisch ist und die lieber zu verzerrten Impulsen atmen. Die Limited-Edition-CD (nur 200 Stück!) unterstreicht den Kunstcharakter des Ganzen – das hier ist kein Streaming-Futter, sondern ein Statement. Und was für eins!

Für wen das Album geeignet ist? Für alle, die gerne hören, was andere gar nicht hören wollen. Für Liebhaber von glitchigen Texturen, für Industrial-Romantiker, für Freunde der gepflegten akustischen Verstörung. Wer auf eingängige Melodien, tanzbare Beats oder klassische Songstrukturen hofft, wird hier nur Verwirrung finden – und vielleicht genau darin Erleuchtung. 'dehNUNG' ist kein Wohlfühlalbum. Es ist ein klanggewordener Widerstand gegen musikalische Erwartbarkeit. Und ganz ehrlich: Mir tut das verdammt gut.