Schachtanlage Gegenort - Coal Phase​-​Out

Schachtanlage Gegenort - Coal Phase​-​Out

Die Künstlerin Denise Ritter, die hinter dem Projekt Schachtanlage Gegenort steht, ist bekannt für ihre elektroakustischen und industriellen Klangwelten. Mit ihrem neuen Album "Coal Phase-Out", das im April 2024 beim Dortmunder Label Hands erschien, liefert sie erneut ein beeindruckendes Konzeptwerk. Das Thema des Albums ist unmissverständlich: der Übergang von fossilen Brennstoffen zu nachhaltigeren Energiequellen. Doch wie setzt sich dieses Konzept musikalisch um?

Das Album besteht aus neun Tracks mit einer Gesamtlaufzeit von etwa 50 Minuten. Schon der Opener "Coal Phase-Out" taucht die Hörerschaft in eine Welt aus dunklen, brodelnden Klängen. Tiefe, dröhnende Frequenzen und metallische Schäge erzeugen eine beklemmende Atmosphäre, die sofort klar macht: Hier wird der Sound zur Reflexion über Umweltzerstörung und industrielle Überreste genutzt. Der zweite Track, "Detachment Dance", bietet meines Erachtens nach etwas subtilere Klanglandschaft. Zischende, beinahe zerbrechliche Töne mischen sich mit pulsierenden Bässen, die wie das schleichende Vergehen einer alten Ära klingen. Besonders spannend ist der Hintergrund einiger Tracks: "Letzte Seilfahrt", "Prosper-Haniel" und "Stille im Streb" enthalten originale Audioaufnahmen, die Denise Ritter 1.200 Meter unter der Erde in der letzten aktiven deutschen Steinkohlemine, der Zeche Prosper-Haniel, aufgenommen hat – kurz vor ihrer endgültigen Schließung. Diese einzigartigen Klänge verbinden sich mit computergenerierten Sounds, die erstmals in Ritters Werk eine prominentere Rolle spielen. Diese Kombination markiert eine stilistische Erweiterung ihres bisherigen Repertoires und verleiht dem Album eine frische Dynamik.

Der dritte Track, "It’s Time To Kill Your Darling", bringt eine intensivere, rhythmische Energie ins Spiel. Mit harschen Beats und abrupten Klangwechseln wirkt der Track fast schon rebellisch und sorgt für Abwechslung im ansonsten eher bedächtigen Albumfluss. Im Kontrast dazu reduziert "Empty Order 32" das Tempo erneut und fokussiert auf hypnotische, repetitive Strukturen, die eine eigentümliche Ruhe ausstrahlen. "Dare To Drop It" setzt auf eine experimentelle Kombination aus maschinellen Klängen und treibenden Rhythmen. Der Track fordert die Hörer geradezu heraus, sich auf die schroffe und dynamische Klangwelt einzulassen. Abgeschlossen wird das Album von "Any Doubts?", das eine melancholische Reflexion bietet. Die zarten, aber dennoch druckvollen Klänge scheinen eine abschließende Frage in den Raum zu stellen: Haben wir genug getan, um unseren Planeten zu retten?

Im Verlauf des Albums wechselt Denise Ritter gekonnt zwischen minimalistischen Kompositionen und dichten, lärmenden Klangcollagen. Besonders Track 4 - "Letzte Seilfahrt" sticht hier hervor: Anfangs Samples, Siren, eine ständig anschwellender Rhythmus aus industriellen Klängen wird von verfremdeten, fast verzerrten Samples begleitet. Dieser Track erinnert an den Widerhall in verlassenen Industriehallen, wo der Geist vergangener Arbeitstage noch in den Wänden zu hängen scheint. Ein weiterer Höhepunkt ist "Prosper-Haniel". Hier wird das Tempo etwas reduziert, was den Fokus auf die verzerrten Soundtexturen legt. Kreischende Maschinenklänge und dumpfe, pochende Elemente erzeugen eine fast meditative Stimmung, die von einer unterschwelligen Bedrohlichkeit durchzogen ist. Der Track wirkt wie ein elegisches Stück über den Abschied von einer Ära, die für Zerstörung und Fortschritt gleichermaßen steht.

Die Produktion des Albums ist makellos, die Musik bzw. die 'Geräusche' sicherlich Geschmackssache. Jeder Track zeigt aber die sorgfältige Gestaltung von Klangschichten, die es schaffen, die industrielle Thematik des Albums akustisch darzustellen. Denise Ritter beweist ein unglaubliches Talent dafür, konkrete Themen in abstrakte Klangformen zu übersetzen. Mit ihrem unverkennbaren Stil gelingt es ihr, archaische und andereweltliche Atmosphären zu schaffen, die zugleich rhythmisch und hypnotisch wirken. Das Album ist gleichermaßen konzeptionell wie emotional fordernd und bietet ein lohnendes Hörerlebnis für jene, die sich auf diese Reise einlassen können.

Fazit: "Coal Phase-Out" ist kein Album für den beiläufigen Genuss. Es fordert Aufmerksamkeit und eine gewisse Bereitschaft sich auf diese klangliche Auseinandersetzung mit einem relevanten gesellschaftlichen Thema einzulassen. Wer sich auf diese Reise begibt, wird meiner Meinung nach mit einem tief bewegenden und außergewöhnlichen Musikerlebnis belohnt. Besonders die Verwendung von Originalaufnahmen aus der Kohleindustrie und die neu eingeführten computergenerierten Elemente machen das Album zu einem einzigartigen Werk. Für Fans von Industrial und experimenteller Musik ist dieses Album eine klare Empfehlung. Doch auch Neulinge könnten in "Coal Phase-Out" ein Werk finden, das nicht nur musikalisch überzeugt, sondern auch zum Nachdenken anregt – wenn sie sich auf den besonderen Stil von Denise Ritter einlassen können.

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