Rome - The Hierophant

Rome - The Hierophant

Zwanzig Jahre 'Rome' – das ist kein Jubiläum, das man mal eben mit einer Best-Of-CD und einem Dankeschön-Post auf Social Media abhakt. Dafür war und ist dieses Projekt von 'Jerome Reuter' immer zu eigensinnig, zu unbequem und vor allem zu ernsthaft. 'Rome' war nie Soundtrack für den schnellen Moment, sondern stets Begleiter für lange Abende, schwere Gedanken und diese merkwürdigen Zwischenzustände, in denen Musik plötzlich mehr ist als bloße Unterhaltung.

Nach zwei Jahrzehnten, unzähligen Veröffentlichungen und stilistischen Wandlungen schlägt Reuter nun ein neues Kapitel auf – gleich doppelt. Mit 'The Tower' und 'The Hierophant' erscheinen zwei Alben, die bewusst als Zwillingswerk gedacht sind. Zwei Blickrichtungen, zwei geistige Räume, zwei Pole desselben Gedankens. Während 'The Tower' den Rückzug, die innere Festung und das Abschotten thematisiert, wendet sich 'The Hierophant' nach außen – oder vielleicht besser: an die Schwelle zwischen Diesseits und Transzendenz. Dass 'The Hierophant' hier im Mittelpunkt steht, bedeutet keineswegs, dass 'The Tower' weniger Beachtung verdient. Im Gegenteil: Das Schwesteralbum verlangt nach einer eigenen Betrachtung – der wir uns in einem separaten Review noch ausführlich widmen werden. Heute und hier wollen wir uns jedoch ganz auf 'The Hierophant' konzentrieren.

Musikalisch bleibt 'Rome' sich treu – und überrascht gerade dadurch. 'The Hierophant' ist ein radikal reduziertes Album, eines jedoch, das seine Kraft aus genau dieser Konzentration zieht. Akustische Gitarren stehen im Zentrum, sparsame Percussion und zurückhaltende Streicher bilden ein fragiles, fast rituelles Fundament. Alles wirkt bewusst entschleunigt, nichts drängt sich in den Vordergrund. Wer hier auf große Refrains oder dramatische Steigerungen wartet, wartet vergeblich – und hat den Punkt vermutlich ohnehin verfehlt.

Was mich persönlich besonders anspricht, ist diese eigentümliche Mischung aus Nähe und Distanz. Die Musik wirkt intim, beinahe flüsternd, und doch bleibt sie stets ein Stück entrückt. 'The Hierophant' ist ein Album, das schweigend neben einem sitzt und ab und zu einen Satz sagt, der hängen bleibt. Manchmal unbequem, manchmal tröstlich, oft beides zugleich. Textlich und atmosphärisch bewegt sich 'Rome' erneut zwischen Mythos, Spiritualität und zeitloser Melancholie. Doch alles bleibt angenehm uneindeutig. Keine plakativen Aussagen, keine belehrenden Botschaften. Stattdessen entsteht das Gefühl, ein verschlüsseltes Manuskript vor sich zu haben – offen für Interpretation, aber klar in seiner Haltung. Ich ertappe mich dabei, wie ich beim Hören automatisch langsamer werde. Kein Album für nebenbei, kein Soundtrack fürs Multitasking. Eher Musik für Momente, in denen man sowieso zu viel denkt.

Ein kleiner Pluspunkt – und ja, das darf man auch mal mit einem Augenzwinkern sagen: 'The Hierophant' klingt nicht so, als müsse er irgendwem noch etwas beweisen. Keine demonstrative Schwere, kein „Schaut her, wie bedeutend das alles ist“. Stattdessen diese stille Souveränität, die nur Künstler entwickeln, die wissen, was sie tun – und warum sie es tun. 'The Hierophant' ist ein Album für Hörerinnen und Hörer, die Geduld mitbringen, Offenheit für Reduktion haben und Musik nicht als Konsumware verstehen. Wer 'Rome' vor allem wegen früherer, politisch schärferer oder martialischerer Phasen mochte, könnte hier zunächst stolpern. Wer jedoch den akustischen, spirituell aufgeladenen und introspektiven Ansatz schätzt – oder ihn wiederentdecken möchte –, wird reich belohnt.

Für mich ist 'The Hierophant' innerhalb der aktuellen Doppelveröffentlichung das Werk, das länger nachhallt. Weniger abgeschlossen als 'The Tower', dafür offener, atmender und emotional zugänglicher. Kein Album für jeden Moment – aber eines für die richtigen. Und genau darin liegt seine Stärke. Nicht zur Unterhaltung. Nicht zur Ablenkung. Sondern zur Erinnerung, dass Musik manchmal auch ein Raum sein kann, den man betritt – und verändert wieder verlässt.

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