Schnell haben sich Drahla aus Leeds zu Presselieblingen gemausert. Der rumpelige Sound ihres Debuts "Useless Coordinates" von 2019 war aber auch zu geil in seiner Kaputtheit, als das man sich dem Zauber der Band um Sängerin Luciel Brown hätte entziehen können. Vielleicht hätte es mit der Karriere als vielversprechende Art-Punk-Combo noch ein bisschen schneller bergauf gehen können, wenn da nicht kurze Zeit später unser aller Leben durch einen kleinen Virus auf den Kopf gestellt worden wäre.

Aber auch abseits der Pandemie herrschte bei den Drahlas ebenfalls ein Auf und Ab in den Lebenslinien jedes einzelnen Mitglieds. Sie haben sicherlich dazu beigetragen, dass "Angeltape" so klingt, wie es klingt: kantig, eckig, widerborstig - und so gar nicht engelsgleich, wie es uns der Titel weismachen will. Im Vergleich zum Vorgänger kosten Drahla das Experiment nun voll aus. War das Saxofon zuvor ein kleines Zuckerl, das den schummrigen Post-Punk des Erstlings noch versüßte, darf sich das Blasinstrument in seiner ganzen verschrobenen Schönheit präsentieren. Mit dem Opener "Under The Glass" geben die Briten die Richtung unmissverständlich an. Die Nummer ist wie ein Versuch im Chemielabor; hier wird eine Zutat dazugesetzt, dort ein paar ungewöhnliche Ingredienzen miteinander vermischt und am Ende: BUMM! Es knallt heftig bei "Under The Glass". Man fühlt sich ein bisschen an die schwedischen Kollegen Viagra Boys erinnert.

Die Musiker haben Spaß an den schrägen Tönen und querschießenden Gitarrenriffs, die durch den neuen Mann Ewan Barr forciert werden. In dem Album lebt das Gefühl wieder auf, als sich Punk-Rock als Revolte überlebt hat und in den Mainstream assimiliert wurde. Aus der Nachglut des Drei-Akkord-Sturms entwickelten sich eine Menge verschiedener Stile, die etwas Neues wagen wollten. Würde man es nicht genauer wissen, man könnte "Angeltape" auch in diese Zeit verorten. 45 Jahre zu spät kommt das Album aber nicht, ganz im Gegenteil.

Was für eine Wohltat zu wissen, dass es heutzutage immer noch Musikerinnen und Musiker gibt, die sich über aktuelle Strömungen und musikalische Trends hinwegsetzen und mit einer amtlichen Portion Chuzpe und Selbstvertrauen einfach mal dem Musikbusiness gepflogen den Mittelfinger zeigen. So zitiert "Second Rhythm" auf eine ganz schräge Art und Weise den A Capella Sprechgesang diverser Popsternchen, wobei Luciel mit jeder Note "Leck mich am A****" zu sagen scheint. Gerade diese Teilnahmslosigkeit ist es, welche die Band geradezu sexy macht. Und wenn das Saxofon noch in die Komposition grätscht, springt das Alternative-Herz voller Freude.

Manchmal passiert es aber doch: Dann schießen Drahla etwas übers Ziel hinaus und geben sich extrem arty-farty, sodass die Pose ins Leere zu laufen droht. In "Talking Radiance" droht so eine Gefahr, und auch "Grief In Phantasia" lässt einen seltsam unberührt. Doch sind diese Momente zum Glück nur rar gesät. Aufgewogen werden sie von solchen Gassenhauern wie "Lipsync", welches völlig zurecht als Vorabsingle auf den Markt geworfen wurde, oder "Concrete Lily" mit brodelnden Post-Punk-Gitarren, die sich direkt in die Gehörgänge fräsen. Hier ist es der Band gelungen, ihre Punk-Attitüde mit einer verschmitzten Eingängigkeit zu kombinieren.

Vor allem ist es aber die unbändige Kraft von "Angeltape", die verfängt und einen mitreißt. Die Gruppe bleibt auf einem energetisch hohen Level und kann dieses auch über die gesamte Albumlänge aufrechterhalten. Selbst ein ruhigeres Klavierstück wie "Venus" passt in diesem Moment seines Erscheinens auf der Platte perfekt. Damit werden sie sicherlich weiterhin die Gazetten und Musikportale in Verzückung bringen. Doch auch das gemeine Publikum sollte "Angeltape" nicht abgeneigt sein, passt der vertrackte Sound geradezu perfekt zu unserer chaotischen, entfesselten Zeit.