Ziguo Chen - Trance In Mind

Ziguo Chen - Trance In...

Heute ist Premiere, heute trauen wir uns mal an etwas "ganz neues"! Wenn man nämlich an China denkt, kommen einem vermutlich zuerst Plastikspielzeug, gefälschte Handtaschen oder leuchtende Laternen in den Sinn. Aber elektronische Musik, speziell EBM, Industrial und Aggrotech? Da kratzt sich der europäische Szenekenner doch erst einmal ungläubig am Kopf. China steht bei uns ja eher für Massenproduktion und Kitsch. Kann man dort wirklich ernsthafte, druckvolle Elektronik erwarten? Oder ist das nur ein weiterer Exportschlager, der beim ersten Hinhören zusammenfällt wie ein zu billig produzierter Plastikstuhl? Ich war skeptisch. Und das zu Recht – denn 'Trance In Mind' von 'Ziguo Chen' alias 'Areal Kollen' lässt nicht nur den besagten Stuhl, sondern auch die Vorurteile erzittern.

Kollen begann laut eigenen Informationen irgendwann im Jahr 2008 musikalisch als Soundtrack-Lieferant für Anime-Enthusiasten. Klingt niedlich, oder? Doch nichts davon ist geblieben. Auf Trance In Mind, veröffentlicht am 17. Dezember 2024, gibt es statt High-Pitched-Vocals und Zuckerwatte jetzt böse Synths, erbarmungslose Beats und eine Prise Wahnsinn. Insgesamt 15 Tracks serviert uns Kollen, und er mixt EBM, Industrial und Aggrotech zu einem düsteren Cocktail, der genauso gut in einem Berliner Kellerclub wie auf einem Pekinger Underground-Rave (gibt's das dort?) laufen könnte. Oder anders gesagt: Hier tanzt das Dämonische zur Teezeremonie.

Die Tracks sind ... sagen wir es ehrlich befremdlich und faszinierend zugleich! Schon der Opener Van Hellsing (Version 2) rollt wie ein schwerfälliger Panzer (uiuiui, muss man hier aufpassen bei der Formulierung?) an. Acht Minuten düsteres Grollen, zähe Synth-Flächen und immer wieder unverständliche chinesische Samples, die in europäischen Ohren eher verwirrend als spannend wirken. Man muss sich darauf einlassen – aber wenn man es tut, ziehen einen die Sounds manchmal auch tiefer hinein, als man vielleicht will. Weiter geht’s mit Go South und Slasher: Beide Stücke schlagen mächtig zu, bauen Druck auf und lassen keinen Zweifel daran, dass Kollen sein Handwerk beherrscht. Hier kriegt der geneigte Clubgänger genau das, was er braucht: dröhnende Bässe und scharfe Kanten. Dennoch bleibt ein seltsames Gefühl. Die fremdartigen Melodien, die sich durch viele Tracks ziehen, wirken oft schwer zugänglich – vielleicht liegt das an Kollens kultureller Herkunft oder seiner Lust am Experiment. Manche Songs, wie Sticky Summer oder Strings (Needles Edit), wirken fast schon zu sperrig, um überhaupt noch ins Ohr zu gehen. Hier zeigt sich eine Schwäche des Albums: Nicht jeder Track zündet auf Anhieb und viele Melodien scheinen doch aus dem chinesischen Sampler-Baukasten zu stammen.

Auch bei den Samples übertreibt es Kollen manchmal. Was zunächst frisch und exotisch klingt, kann schnell ermüdend wirken. Einige der Stücke ziehen sich zudem ziemlich – vor allem dann, wenn die Ideen nicht recht zünden und der Track trotzdem minutenlang dahinrollt. Umweltschutz und Clubhits – Geht das zusammen? Textlich hält sich Ziguo Chen nicht lange mit Nichtigkeiten auf. Er setzt sich für Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit und Anti-Diskriminierung ein. Gerade im Industrial-Genre, wo die Texte gerne mal nihilistisch und destruktiv sind, ist das für eine VÖ aus China schon bemerkenswert. Auch wenn seine Lyrics auf Englisch sind, schleicht sich inhaltlich trotzdem das ein oder andere chinesische Thema ein. Ob das jedem gefallen wird, sei mal dahingestellt – aber ich finde es gut, dass Kollen mehr zu sagen hat als nur „Dance or Die“.

Fazit – Plastikstuhl oder Tanzflächenkiller? Lässt man sich auf Trance In Mind ein, bekommt man ein Album, das den Rahmen sprengt – im besten und seltsamsten Sinne. Ja, die chinesischen Samples sind gewöhnungsbedürftig. Ja, das Album hat Ecken und Kanten, an denen man sich stoßen kann. Und ja, einige der Melodien wirken sperrig, die Samples teils etwas zu sehr aus der Baukasten-Box. Einige Tracks hätte man kürzen oder straffen können, denn nicht alles, was Kollen abliefert, ist ein Tanzflächenkiller. Aber genau das macht es so erfrischend. Trance In Mind ist nicht perfekt, aber mutig, anders und interessant. Ziguo Chen alias Areal Kollen zeigt, dass China mehr kann als Massenware: Es kann auch ein bisschen EBM, Industrial und Aggrotech. Spannend, ob aus der Ecke zukünftig noch mehr kommt!

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