Mitte der 00er Jahre fing eine neue Generation von Musikern an, sich für die analogen Sequenzersounds zu interessieren. Überall blubberten plotzlich vermehrt Synthesizer vor sich hin wie weiland bei den Blaupausenzeichnern des Genres, Nitzer Ebb und Deutsch Amerikanische Freundschaft. Old School EBM war das nächste neue (und alte) Ding, was allerdings auch eine ungeheure Langeweile mit sich brachte. Denn wen tendiert es schon zu einer Imitation, wenn das Original ohne Probleme erhältlich ist? Es musste also schon ein besondere Kniff oder eine originelle Idee her, um dem tradierten Sound und der Band, die er erschuf, eine Daseinsberechtigung zu geben.

Jonatan Löftstedt und Gustav Jansson, beide Jahrgang 1985, haben es von Anfang an ganz geschickt gemacht. Zunächst firmierten sie noch unter dem ungelenken Namen Xenophobic Alliance, ehe Gustavs Vater ihnen die Idee steckte, sich in Sturm Café umzubenennen. Als Logo diente fortan eine Kaffeetasse, darüber stiliserte Dampfwolken, die an die SS-Symbolik erinnern. Zudem hat sich das Duo dazu entschieden, ihre an analogen Synthies zusammengeklöppelten Songs auf Deutsch einzusingen, um der DAF- Ästhetik Rechunng zu zollen.

Damit hat das Zweiergespann - sicherlich nicht ungewollt - gleich mal die richtigen Knöpfe gedrückt, um einige überkritische Geister, die seit jeher (aber auch nicht ganz unberechtigt) eine Unterwanderung der Schwarzen Szene durch rechte Symapthisanten befürchten, in Alarmbereitschaft zu versetzen. Doch hier sollte man die Kirche wirklich im Dorf lassen. Sturm Café sind in erster Linie zwei Jungs, deren Songs alles sind, aber nicht rechtsradikal.

Wenn sie denn überhaupt eine Aussage besitzen. Die deutschen Texte sind nämlich teilweise kompletter Nonsense und grammatikalisch noch unter dem Niveau einschlägig bekannter Übersetzungsprogramme aus dem Internet. Eher fungiert das Deutsche aufgrund seiner spezifischen Melodik als weiteres Instrument; der Inhalt der Lyrics spielt eine Nebenrolle. Eine Kostprobe aus einem früheren Stück: "Weg mit Routinen, weg mit Routinen. Gib mir was Spaß, ich will nicht studieren" ("Weltliches Leben"). Diese Beispielzeile ist bewusst gewählt, denn der Spaß steht tatsächlich im Vordergrund von Sturm Café, wie auch ihr neues Album "Zeitgeist" beweist.

Die Band besitzt eine treue Fangemeinde trotz des eher überschaubaren Oeuvres. Nach "So seelisch, so schön" von 2005 wurde der Nachfolger "Europa" erst zehn Jahre später veröffentlicht. "Zeitgeist" ist nun die dritte offizielle Langrille. Dementsprechend sprunghaft wirken die Entwicklungen. Zu Beginn noch sehr der klassischen Muskel-Mucke verpflichtet, sind die EBM-Strukturen nicht mehr die allein tragenden Säulen. In vielen Stücken positionieren sich Italo-Disco-Klänge selbstbewusst, sodass Songs wie "Seltenen Erden" und das für sich sprechende "Hymne für die Ewigkeit" extrem eingängig geworden sind. Springerstiefel meets Slipper. Eine durchaus interessante Kombination.

"Zeitgeist" wirkt insgesamt aber wie die nächste Phase einer Metamorphose, die bereits auf "Europa" in Gang gesetzt worden ist. Denn auch vom einstigen Dogma, nur auf Deutsch zu singen, weichen Sturm Café mittlerweile ab und nutzen in "Reflektion" und "200 år" ihre Muttersprache. Was vielleicht sogar der Schritt in die richtige Richtung bedeuten kann, denn die ungelenken Texte, einst noch als spaßige Besonderheit verstanden, wirken mittlerweile eher ermüdend. So konstant und wie aus einem Guss wie einst "So seelisch, so schön" ist auch dieses Album nicht geworden. Viele Songs sind für sich genommen sehr eingängig und voller guter Ideen, über Albumlänge entsteht jedoch teilweise eine Beliebigkeit, die dem Werk ein wenig die Energie nimmt und es an einigen Stellen langatmig macht.

Old School EBM hat immer noch eine große Anhängerschar, doch scheint sich Sturm Café von dieser Mischpoke so langsam zu lösen und neue Wege zu beschreiten. Interessant ist die Entwicklung von Jonatan und Gustav allemal und für die beiden Enddreißiger noch lange nicht abgeschlossen; hoffen wir, dass es nicht wieder eine gefühlte Ewigkeit dauert bis zum nächsten Output.