Abhandlungen sehr alltäglicher Themen genauso wie auch spannende Einblicke in bisher streng geheime Sperrzonen des Heimatschutzministeriums – in diesem Fall Divines Handtasche - bieten uns Stereo Total auf ihrem neuen Album ‚Baby Ouh!’. Siebzehn Titel transportieren den üblichen Wahnsinn, mal sehr offensichtlich, dann wider subtil chansonesque. ‚Hallo Damenklo, sie sind jung und wollen Spaß! Schminken sich auf meinem Klo mit Lippenstift und Mascara! Ich war früher auch mal so…’ sind die ersten Zeilen, die Francoise Cactus zum Besten gibt. Unterlegt mit einem wild springenden Elektro-Beat ist damit sofort klar, dass sich hier die Grundausrichtung der trash-geladenen, deutsch-französischen Selbstverwirklichung nicht geändert hat. Volle Betroffenheit im direkten loungigen Anschluss transportiert ‚Alaska’, ein Lied darüber, dass sich eine unglücklich Verliebte in einen Roboter verwandelt hat. (Anm. der Redaktion: wer jetzt schon überfordert ist, bitte nicht weiterlesen, denn Normalität schwingt sich auch für die restlichen Lieder nicht ein!). Schonungsloser Enthüllungsjournalismus verrät, dass Divine in ihrer Handtasche nicht nur die offensichtlichen Dinge wie Wasserstoffsuperoxyd und eine Packung Zigaretten hat, sondern auch Gegenstände wie eine Tube Vaseline, ein Hormonpräparat, eine dumme Zeitschrift, Zwieback und ein altes Sandwich geradewegs vom Küchentisch. ‚Warum nicht, denn sie ist göttlich’ lautet die Begründung, so dass dieser ungewöhnliche Inhalt schon klar geht. Gradliniger Indie-Pop mit Lofi Charme ist die Waffe der Wahl für Stereo Total in Kanada, denn das ebenfalls auf ‚Baby Ouh!’ enthaltene ‚Illegal’, das bereits im letzten Jahr auf dem in Quebec erschienenen französischen Album enthalten war, mauserte sich in der kanadischen Provinz zum Super-Douper-Überraschungs-Radiohit und existiert deshalb bestimmt in dreihunderfünfzig Radio-Session-Versionen. Oh la la! Zwischendrin verrät Brezel Göring im Electro-Fifties-Style seine eher bedenklichen Erziehungskonzepte, denn scheinbar wollte er schon immer mal eine Mutter sein (!?), während direkt im Anschluss Francoise durch ‚Babyboom, ohne mich!’ eine konträre Meinung vertritt. Ob das zur Trennung des langjährigen Paares führen wird, darüber darf spekuliert werden! Mit ‚Tour de France’ ist eine ganz besondere Coverversion enthalten, die den Kraftwerk Klassiker in neue Dimensionen hebt: nicht zuletzt das Kreuzberger Nasenflöten-Orchester trägt dazu bei, dass man eher an den Wanderausflug der Jung-Pioniere an der mecklenburgischen Seenplatte als an das Überwinden von Alpenpässen auf dem Velo denkt. Ohne musikalische Botox-Behandlung strafft Göring per Hand erneut die Songstrukturen, so dass sie zusammen mit dem immer wieder überraschend ansprechenden Gesang von Francoise galonenweise jugendlichen Leichtsinn und adoleszente Unbekümmertheit transportieren. Bis auf wenige eher langweilige Ausnahmen wie ‚Andy Warhol’ ein farbenfrohes Feuerwerk für alle Fans des exzentrischen Künstlerpaars, ein Beweis für den größten Scheiß für alle, die mit Stereo Total noch nie was anfangen konnten. ‚Warum nicht, warum nicht, so chic, so dick, so schön, so schön obszön…’