Schiller, ein Phänomen zwischen deutschem Vorzeige-Electronica-Himmel und Fahrstuhlmusik-Hölle. Geliebt, gehasst, auch live unterwegs auf ausverkauften Konzertreisen, das muss man erst einmal schaffen! Dass Christopher von Deylen, der hinter dem Projekt mit dem literarischen Namen steckt, Musik veröffentlicht, an der man nicht vorbeikommt, ist spätestens nach seiner Kooperation mit Harald Blüchel (aka Cosmic Baby) und dem Album-Klassiker ‚Bi-Polar’ klar. Längst steht Schiller nicht mehr nur für club-orientierte Tracks wie ‚Das Glockenspiel’, mit dem er nach einigen erfolglosen Platten schließlich den Durchbruch hatte. Nein, seit er 2002 die typischen, rezitierten Lyrics mit echten Vocals diverser Gastsänger (Kim Sanders, Jette von Roth, Peter Heppner, Thomas D. uvm.) ergänzte, erreicht die Musik ein noch weit breiteres Publikum. ‚Sehnsucht’ ist ein Werk, das nach einer ausgiebigen Weltreise von Deylens entstand und zunächst als instrumentales Werk geplant war, das die Sehnsüchte der Menschen widerspiegeln sollte, die ihm auf der langen Reise begegnet sind. Letztendlich finden sich auf ‚Sehnsucht’ nun doch verschiedenste Gastsänger, die das Vorliegende teils positiv beeinflussen, an anderen Stellen jedoch auch gefährlich nah an die Routine bereits da gewesener Strukturen heranführt. Mitspielen dürfen diesmal unter anderem der Mannheimer Laienprediger Xavier Naidoo, der bereits von Alvarez ähnlich eingesetzte Ben Becker mit tief pulsierender Stimme, Anna Maria Mühe, Helen Boulding und alte Bekannte in Persona Jette von Roth und Kim Sanders. Das Album erscheint zunächst in zwei Versionen: einer ‚Limited Deluxe Edition’ und einer ‚Limited Super Deluxe Edition’, soll heißen: CD+DVD und 2CD+DVD im Hardcover-Schuber mit Buch. Die zweite CD der ausführlicheren Edition enthält dabei nicht wie so oft ein paar wenige bereits auf zehn anderen Veröffentlichungen enthaltene Remixes, sondern weitere dreizehn neue Schiller-Tracks, teilweise auch mit Gesang; also ein echtes Doppelalbum. Inhaltlich sind es vor allem die gesprochenen Tracks von Ben Becker und Anna Maria Mühe, die herausstechen, und hier insbesondere ‚In der Weite’, das durch die Zusammenarbeit mit dem Filmorchester Babelsberg eine unbeschreiblich schöne Gesamtstimmung aufbaut. Der Titeltrack ‚Sehnsucht’ mit Naidoo am Mikro hat ebenfalls das Zeug zum Klassiker. Holt man den Herrn aus seiner betroffenen musikalischen Umwelt heraus und unterfüttert die Szenerie mit einer hypnotisch-elektronischen Grundstimmung a la Jam & Spoon, so muss man anerkennen, dass Naidoos Stimme charismatisch und unaufdringlich Wesentliches zum Gelingen des Tracks beiträgt. Minimalistisch schön klickend erfüllt ‚Fate’ den Raum und poppig, stimmlich interessant machen auch die Jette von Roth Tracks Freude. Mit Dub-Bässen in Richtung Orb tendierend überrascht ‚Mitternacht’ ebenso wie die Krautrock-Nuancen im Klaus-Schulze Track ‚Zenit’ Über die Stimmgewalt einer Kim Sanders braucht nicht diskutiert werden, aber gerade ‚Let Me Love You’ ist wohl leider neben ‚Porque Te Vas’ einer der weichgespültesten Tracks, den man zwar im Radio hören wird, der aber nach spätestens einer Woche auf Heavy Rotation Hass-Gedanken schürt. Schließlich ist noch die DVD zu erwähnen, die das Paket abrundet. Auch hier findet sich Essenzielles wie zehn liebevoll gefilmte Videos zu den neuen Songs, die halbstündige Version der Klaus Schulze Kollaboration, vier Live-Tracks vom Konzert mit dem Radioorchester Kiew, eine Galerie mit durchweg gelungenen Reise-Photos, ein kurzes Interview sowie ein musikalisch unterlegter visueller Bericht der Reise von Berlin nach Calcutta im schwarzen ‚Schiller-Volvo’. Einzig allein überrascht, dass das Video zur Single ‚Sehnsucht’ nicht enthalten ist. Übrigens enthält die DVD der kleineren Edition weniger Videos, nur zwei Live-Tracks und kein Interview, so dass auch hier ein echter Mehrwert gegenüber der CD+DVD Version entsteht. Fazit: Schiller entwickelt sich mehr und mehr zu einem Standard der deutschen elektronischen Popmusik. Sicher zu glatt für die Indiependent-Fraktion, auf die es von Deylen aber ja auch gar nicht abgesehen hat. Wer bereits in den zart gewebten musikalischen Netzen des Hamburger Tasten-Virtuosen gefangen ist, wird mit ‚Sehnsucht’ in der Super Deluxe Version insgesamt über vier Stunden neues Material begrüßen, alle anderen werden wie auch bei den vorangegangenen Releases gähnen und sich mit Desinteresse abwenden. Akustische und optische fünf Punkte für die, die das Genre mögen…