Ein Rückblick! Am 22. November 2004 war es so weit: Rammstein ließen mit der Maxi-Single „Ohne Dich“ ein musikalisches Experiment auf die Welt los, das uns damals in etwa so ratlos zurückließ wie ein IKEA-Regal ohne Anleitung. Unsere Rezension vor 20 Jahren las sich auch dementsprechend reserviert – es war wirklich nicht Liebe auf den ersten Blick. Aber, ach, wie sich die Zeiten ändern. Heute, mit etwas Patina auf unseren Geschmacksnerven, sind wir hellauf begeistert und fragen uns, wie wir das damals nicht erkennen konnten. Das Release hat nicht nur uns, sondern auch seinen Wert auf Tonträgerbörsen mächtig gesteigert. Ein Schelm, wer das für Zufall hält!
Damals: Nörgeln auf hohem Niveau
Unsere Rezension von damals hatte ihre Höhen und Tiefen. Wir waren beeindruckt, dass Rammstein nicht nur laute Bässe und „Jawohl“-Sprechgesang im Gepäck hatten, sondern auch die große Kunst wagten. Laibach? Mina Harker? Filmorchester Babelsberg? Eine Silbermann-Orgel?! Man könnte meinen, die Band hatte beim Kollaborations-Bingo alle Kästchen angekreuzt. Doch die Umsetzung? Nun ja, wir waren skeptisch. „Der „Sacred Mix“ schmeckt wie ein Weihnachtsstollen, bei dem das Mehl obenauf liegen geblieben ist“ – so poetisch formulierten wir damals unsere Kritik. Es fehlte uns an Harmonie, und Vergleiche mit Schuberts Winterreise fanden wir etwas überambitioniert. Ein Lichtblick hingegen war Schiller, dessen Remix die perfekte Balance aus Rammstein-Essenz und eigenem Stil traf. Und die Zusammenarbeit von Laibach mit Mina Harker? Ein Gänsehautgarant, auch wenn wir meinten, ohne diese Version leben zu können. Heute? Ein klares: „Wie konnten wir nur?!“
Heute: Wenn die Liebe wächst
20 Jahre später stehen wir schuldbewusst vor der Maxi und murmeln ein leises „Entschuldigung“. Was uns damals als unausgegoren vorkam, hat sich als Meisterwerk entpuppt. Der „Sacred Mix“ mit seiner Orgel wirkt heute wie ein geheimnisvoller Zaubertrank, und die „Mina Harker’s Version“? Der feine Akzent und die vampirische Anziehungskraft von Mina sorgen sogar heute noch für ein wohliges Schaudern. Es ist, als hätten wir früher versucht, einen edlen Rotwein in einem Zug zu kippen – heute genießen wir jeden Tropfen. Und die Sammlerpreise auf den Tonträgerbörsen? Ja, die Maxi wird in einigen Versionen inzwischen für Summen gehandelt, bei denen man den Hut ziehen muss. Damals gab es neben der normalen Maxi sogar auch ein Digipak und eine Version im Cardsleeve die aber an uns vorbei gelaufen sind - jeweils aber nur mit 2 Tracks. Da fragt man sich schon: Haben wir 2004 vielleicht ein Schnäppchen verpasst?
Ein Hoch auf die späte Erkenntnis
„Ohne Dich“ zeigt uns, dass Musik manchmal wie guter, stinkender Käse ist: Sie braucht Zeit, um zu reifen und zu wirken. Was uns damals nicht ganz überzeugt hat, ist heute eine Maxi-Single, die wir auf eine einsame Insel mitnehmen würden – mit dem passenden Remix als Soundtrack zur Flaschenpost. Also: Hut ab vor Rammstein, ihrem Mut zur Vielfalt und unserer eigenen Fähigkeit, Fehler einzugestehen. Manchmal dauert es eben 20 Jahre, bis man erkennt, dass das Mehl auf dem Weihnachtsstollen gar nicht so schlimm ist.