Wer sich eingehender mit dem Oeuvre von Rome befasst, wird feststellen, dass Jérôme Reuter, der kreative Kopf dieses Neofolk-Projekts, in seiner annähernd 20 Jahre langen Karriere die Freiheit und Brüderlichkeit in Europa sowie auf der ganzen Welt im Blick hat und danach auch seine Lieder ausrichtet. So behandelte beispielsweise das Album "Flowers From Exile" von 2009 die Geschichte von Vertreibung im Kontext des spanischen Bürgerkriegs, während das Werk "A Passage To Rhodesia" 2015 die Unterdrückung der einheimischen Bevölkerung Rhodesiens (dem heutigen Simbabwe) durch die englischen Kolonialisten thematisierte - alles Werke, die sich auf die Vergangenheit bezogen haben, um Erkenntnisse für die Gegenwart zu ziehen.

Seit einiger Zeit nun ist aber die freiheitliche Grundordnung Europas in Gefahr. Durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine sind die Völker aufgerufen, Stellung zu beziehen. Die unterschiedlichen Haltungen innerhalb der EU zeigen einmal mehr die verzwickte Situation. Indes ist es nicht verwunderlich, ja, sogar nur konsequent, dass "Gates of Europe" sich mit den aktuellen großen Problemen unseres Kontinents auseinandersetzt. Jérômes Haltung ist dabei klar pro-ukrainisch. "Courage has two colours: yellow and blue", heißt es beispieslweise im Song "Yellow And Blue", den er bereits mit Erfolg am Live-Publikum testete. 

Den Worten hat der Luxemburger jedoch auch Taten folgen lassen: Trotz Reisewarnungen ist er mit seiner Band nach Kiew gefahren, um dort aufzutreten - kurz vor dem Ausbruch des Krieges. Und er war auch einer der ersten, die ein weiteres Mal nach Kiew und Lwiw reisten. Darüber hinaus spielte er bei Charity-Konzerten, um Geld für die Ukraine aufzutreiben. Ein Song wie "Going Back To Kyiv" speist sich aus den persönlichen Erfahrungen, wie das gesamte Konzept von "Gates Of Europe" ohnehin auf einer sehr persönlichen Auseinandersetzung des Musikers mit der Kriegssituation fußt.

Jérôme singt also nicht nur über Freiheit, er kämpft auch im Rahmen seiner Möglichkeiten dafür. Dass deswegen das Album an manchen Stellen tendenziös, polemisch und glorifizierend wirkt, liegt in der Natur der Sache. Romes Gratwanderung zwischen Neofolk und Industrial bringt auch das militaristische Moment hervor (besonders das donnernde "Eagles Of Trident" mit dem wiederholten "einzig und allein durch brutalsten Kampf" kommt einem Schlachtengesang gleich). Auch der im Song "The Brightest Sun" zu hörende, nicht unumstrittene Ausspruch "Slava ukraini" ("Ruhm der Ukraine", Durchhalteslogan, der teilweise von rechten ukrainischen Gruppierungen genutzt wird) tendiert zu einem unreflektierten Patriotismus, während das Sprachsample zu Beginn von "How Came Beauty Against This Blackness" von einer "Gewalt des Guten" spricht, die das Böse verhindern soll. Auch das klingt nicht gerade nach Diplomatie.

Nun ist Kunst aber nie neutral, sondern will zum Nachdenken anregen und wachrütteln - und das geht nur mit radikalen Thesen. Diese packt Jérôme in gewohnt mitreißende, alle Stilgrenzen sprengende Songs, die aber grundlegend das Liedermachergen in sich tragen - aller dunklen Sounds und Sprachcollagen zum Trotz. Und bisweilen wird man von sehr elektronischen, fast poppigen Klängen überrascht, wie ihn "Death Of A Lifetime" für die Hörerschaft bereithält. Dagegen schafft "The Ballad Of Mariupol" ein melancholisches Gefühl, das gleichsam tröstet und Hoffnung macht auf eine bessere Zeit.

Vom besten Album Romes zu sprechen, ist schwer, denn das Ein-Mann-Projekt mit zeitweiliger Unterstützung durch andere Musikerkollegen und Musikerkolleginnen arbeitet seit Anbeginn auf einem sehr hohen Level, das er über die Jahre kontinuierlich zu halten verstand. Sicherlich darf aber "Gates Of Europe" als authentischstes, unmittelbarstes und auch streitbarstes Werk betrachtet werden, impulsiv geschrieben unter den noch frischen Eindrücken eines Krieges auf europäischen Boden. Möglicherweise wird das Werk in Zukunft als wichtigster Referenzpunkt künstlerischer Auseinandersetzung mit dem Ukraine-Konflikt gesehen werden. Für den Moment bleibt "Gates Of Europe" ein mutiges Statement, das durch seinen musikalischen Abwechslungsreichtum glänzt.