Ende der 80er Jahre avancierte ein Bruderpaar aus den USA zu einem der Geheimtipps der internationalen Synthpopszene. Red Flags Debütalbum „Naive Art“ war vollgepackt mit Hits und schlug eine elegante Brücke zwischen Depeche Mode und härteren Industrialsounds, wie sie damals – so habe ich mir als Rezensent, dem nicht die Gnade der frühen Geburt beschieden war, sagen lassen – in vielen Underground-Clubs liefen. „Russian Radio“, „If I Ever“ sowie mein persönlicher Favorit „Give me your hand“ sind auch heute noch Bestandteil vieler privater Playlisten auf der ganzen Welt. Nach dem tragischen Tod der einen Duohälfte Mark Reynolds im Jahre 2003, schien es, als sei das Ende der zunehmend in einer musikalischen Nische produzierenden Band gekommen. Doch 4 Jahre später reanimierte Chris Reynolds mit dem überraschen düsteren Comeback-Album „Born Again“ sein Baby, woraufhin mit einem weiteren Fulltime-Werk „Time is the reaper“ und unzähligen Maxi-Auskopplungen ein wahrer Wust an neuen Veröffentlichungen folgte. Was sich auf „Time is the reaper“ bereits andeutete, findet auf dem nun vorliegenden Album „Serenity“ seine Fortsetzung. Red Flag stehen heuer für harte Rhythmen, düstere Beats, treibende Basslines und durch die Bank weg clubtaugliches Material – komplett am Techno-Dance der Neuzeit vorbei, aber mit einem hohen Wiedererkennungswert. „Diese Musik wollte ich schon immer machen“, ließ der Protagonist vor einigen Jahren verlauten und implizierte damit eine latente Unzufriedenheit, die ihn beim Gedanken an die tieftraurigen, leider auch recht schläfrigen Balladen seiner Band Anfang des Jahrtausends überkommen haben musste. Doch bei Red Flag im Jahre 2012 stehen die Beine nicht mehr still. Dies gilt sowohl für jene Songs, die mit dem Zusatz „Original“ auf dem Album vertreten sind, als auch für ihre Mixversionen, die auf die Ergänzung „Dance“ hören. Der Titelsong „Serenity“ überzeugt durch seinen langsamen Spannungsaufbau, „Mockingbird“ vermittelt eine hymnisch-morbide Endzeitstimmung und wer auf der Suche nach dem perfekten Clubsong ist, der wird mit „One by One“ belohnt. Genau so, liebe Musikergemeinde, wird ein Hit geschrieben, der sowohl im Auto, als auch spätabends auf der Tanzfläche funktioniert. Dabei kracht der Bass an allen Ecken und Enden, der tiefe Gesang, mit leichten Effekten bearbeitet, geht mit ihm eine nahezu perfekte Symbiose ein. Das Problem an der ganzen Scheibe ist daher absolut nicht deren Inhalt, sondern der Vertrieb. Mir ist es ein komplettes Rätsel, dass eine solch geniale CD quasi nicht zu kaufen ist und keinerlei Promotion läuft. Im September letzten Jahres gab es „Serenity“ zunächst ausschließlich als Teil eines teuren USB-Stick Pakets zu erwerben, das die komplette Disographie Red Flags beinhaltete. Danach passierte ein halbes Jahr lang gar nichts, bevor still und leise die Bestelloption der einzelnen CD auf der bandeigenen Homepage freigeschaltet wurde. Immerhin. Ansonsten gibt es keine alternativen Wege: weder digital, noch als Import-CD bei Mailordern, noch bei Streamingdiensten etc. Auch Infos zum Entstehungsprozess der CD findet man nirgendwo. Credits im Booklet? Fehlanzeige! Angeblich soll sich Chris für „Serenity“ mit Rob Sandoval einen neuen Sänger ins Boot geholt haben, doch dieser muss entweder kurzfristig abgesprungen sein oder ein perfekter Stimmenimitator sein, denn der Gesang klingt gegenüber den bekannten Werken unverändert. Red Flag hat sich mittlerweile von einer guten Band zu einem mysteriösen Ein-Mann Projekt entwickelt, von dem niemand mehr Kenntnis zu nehmen scheint. Vielleicht ändert Ihr als Leser ja etwas daran...