'Raoul Sinier' hat sich im Laufe seiner Karriere schon durch so ziemlich jedes elektronische Schlachtfeld gekämpft, das man sich vorstellen kann. IDM, Electronica, Hip-Hop, Breakbeat, Jazz, Noise – der Pariser Alleskönner hat nie Halt gemacht, wenn sich irgendwo eine Tür auftat, durch die andere Musiker lieber nicht treten würden. Und das Ergebnis war nie vorhersehbar. Von Release zu Release hat Sinier seine Musik weiterentwickelt, verfeinert, verzerrt, neu erfunden – und dabei nie den feinen Humor verloren, der seine Kunst so sympathisch macht. Schon der Titel seines neuen Albums Guilty Cloaks zeigt, dass Sinier sich selbst und seine Kunst mit einem Augenzwinkern betrachtet. Aber wer glaubt, ihn nach Tremens Industry (2009) nun endgültig verstanden zu haben, wird hier eines Besseren belehrt. Guilty Cloaks markiert einen unerwarteten Schritt – weg vom reinen Sound-Experiment und hin zum Song. Und dieser Schritt ist gewagt, mutig und, ja, ziemlich brillant.
Der Opener Overture 5 führt den Hörer zunächst auf eine falsche Fährte: schwebende Synths, ruhige Flächen, eine melancholische Ruhe – fast ein elektronisches Wiegenlied. Man fühlt sich an die elegische Sanftheit von Air erinnert, an diese typisch französische Melancholie zwischen Traum und Film. Doch schon beim zweiten Track, She Is A Lord, kippt das Bild. Rasende Drums wirbeln los, und dann geschieht das Undenkbare: Raoul Sinier singt. Mit heller, fast fragiler Stimme – und plötzlich entsteht etwas, das sich tatsächlich wie ein Song anfühlt. Kein abstraktes Soundexperiment, sondern eine greifbare, melodische Komposition mit 80er-Indie-Gitarren und klarer Struktur.
Dieses neue Selbstverständnis zieht sich durch das ganze Album. Over The Table verbindet treibende Beats mit seltsam verdrehten Texten, die irgendwo zwischen Absurdität und Eingeständnis schweben. Too Late baut mit Orgelklängen und stampfendem Rhythmus eine fast sakrale Atmosphäre auf, während Flat Street in nostalgischen 70er-Artrock abdriftet – komplett mit Gitarrenlinien, die an alte Genesis- oder King-Crimson-Schallplatten erinnern. In Winter Days wiederum wagt sich Sinier in filmische Gefilde: leise, fast schüchtern beginnend, steigert sich das Stück in ein drängendes Crescendo, das immer wieder von hektischen Breakbeats gebrochen wird. Dann ist da noch The Enlightened Man, ein Höhepunkt in Sachen Arrangement. Hier trifft Struktur auf Chaos, Beats auf Emotion, Digitalität auf klassisches Songwriting. Es ist, als würde jemand den Versuch wagen, Squarepusher und Pink Floyd an einen Tisch zu setzen – und es funktioniert. Das abschließende Walk schließlich nimmt das Tempo zurück, illustriert den besungenen Gang mit einem unruhigen, trippelnden Beat und entlässt den Hörer in eine fast versöhnliche Nachdenklichkeit.
Was Guilty Cloaks so besonders macht, ist die neue Balance. Sinier bleibt experimentell, verspielt, eigenwillig – aber er hat gelernt, dass auch innerhalb klarer Songstrukturen genügend Platz für Verrücktheit existiert. Er singt, er komponiert, er inszeniert – und er tut das mit einer Selbstverständlichkeit, die beeindruckt. Der Sound bleibt unverkennbar „Sinier“ – eigenartig, verschachtelt, manchmal sperrig –, aber er klingt plötzlich menschlicher, zugänglicher, wärmer. Trotz dieser neuen Offenheit ist Guilty Cloaks kein Zugeständnis an den Mainstream. Es ist immer noch Musik für Menschen, die sich in Klangwelten verlieren wollen. Doch diesmal gibt es mehr Ankerpunkte, mehr Melodie, mehr Emotion. Der Wahnsinn wurde nicht gezähmt, aber er hat gelernt, Takt zu halten.
'Raoul Sinier' zeigt hier, dass Entwicklung kein Widerspruch zu Authentizität ist. Guilty Cloaks ist ein mutiger Schritt nach vorne, ein Album, das sich zwischen Kopf und Herz bewegt – und beides gleichermaßen fordert. Man hört, dass dieser Künstler angekommen ist – aber nicht, weil er zur Ruhe gekommen wäre, sondern weil er sich endlich selbst gefunden hat. Und so bleibt am Ende nur eines zu sagen: Wenn ein Musiker, der ohnehin schon für seine Experimentierfreude bekannt ist, plötzlich auch noch großartige Songs schreibt, dann darf man wirklich gespannt sein, wohin ihn dieser Weg noch führen wird.
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