Versucht man die Magie des Debütalbums "A Secret Wish" von Propaganda irgendwie zu erklären, könnte das ganze Bücher füllen. Fest steht auf jeden Fall, dass die Scheibe zu einer Zeit entstanden ist, als Chuzpe und Wagnis in der Popmusik noch belohnt worden sind. Das Album vereinigt zudem einige der hellsten Köpfe jener Zeit. Ralf Dörper, der für Propaganda Die Krupps verließ, war, wie auch Sängerin Claudia Brücken, eng mit der Düsseldorfer Punkszene rund um die Kultstätte Ratinger Hof verbandelt, Ralf Mertens indes kam als Perkussionist der Düsseldorfer Symphonikern von der Klassik her. Ihre künstlerische Heimat fand das Quartett beim damals angesagten britischen ZTT Label, dessen Chef Trevor Horn zusammen mit ihnen am Erstling gearbeitet hat.
Herausgekommen ist ein Werk, das in gleichen Teilen avantgardistisch und massenkompatibel klang - und vor allem sehr deutsch, was nicht zuletzt an der harten englischen Aussprache Brückens lag. Dies war aber eines der Gründe, die Propaganda (schon allein der Bandname war eine klare Anspielung auf die jüngere deutsche Vergangenheit) ausgemacht hat. Sie waren das Bindeglied zwischen Kraftwerk und Richard Wagner, vermengten klassische Opulenz mit kompositorischer Strenge und realisierten Songs mit Hilfe einer Technik, die damals state of the art war. Natürlich sind es aber auch die Songs selbst, die bis heute nichts von ihrer Zeitlosigkeit verloren haben. Dass "p: Machinery" jüngst in der Werbung eines französischen Autoherstellers wieder auftauchte und dem Song sogar verhalf, erneut in die dortigen Charts einzusteigen, ist daher kein Zufall.
Dörper und Mertens, die schon in der Urbesetzung die führenden musikalischen Köpfe waren, sind mittlerweile naturgemäß in die Jahre gekommen und brauchen weder sich noch anderen etwas beweisen. Dementsprechend hat es sicherlich auch einen Grund, warum das neue Werk explizit "Propaganda" getauft wurde. Die beiden Musiker scheinen mit sich und der Welt im Reinen zu sein und endlich die Songs zu machen, die sie als Künstler definieren.
Das schließt einige Umwälzungen mit ein, allen voran an der Gesangsfront. Mittlerweile sind Claudia Brücken und Susanne Freytag (die ihrerseits vor einiger Zeit xPropaganda ins Leben gerufen haben) durch die MIttzwanzigerin Thunder Bae ersetzt worden. Ihre stimmliche Expertise ist wirklich bemerkenswert; sie klingt an einer Stelle wie Dua Lipa, an anderer wie Roisin Murphy, in jedem Fall aber frisch und den heutigen Hörgewohnheiten entsprechend. Das setzt fast schon voraus, dass der Propaganda-Sound einer Frischzellenkur unterzogen werden musste, um Thunders Organ zu entsprechen. Und so ist es denn auch geschehen.
Das Musikerkollektiv bedient sich schummriger Trip-Hop-Manierismen für "Distant", fährt bei "Tipping Points", das den Klimawandel zum Inhalt hat, einen minimalen Trance-Pop, der einem Karl Bartos zur Ehre gereichen würde, souverän auf, und zieht bei "Dystopian Waltz" eine cineastische Soundästhetik mit massivem Streichereinsatz hoch, der sich an "Strength To Dream", dem Sequel zum krautrockigen "Dream Within A Dream" aus "A Secret Wish", anlehnt. Wenn am Ende "Wenn ich mir was wünschen dürfte" der orchestrale Glanz der Marlene-Dietrich-Version durch ein gespenstisches Klavier und umherwabernden Synthieflächen eingetauscht wird und Thunder fast schon unbedarft wie ein Kind die gedankenschweren Zeilen intoniert, erkennt man die frühen Propaganda-Stilistiken und das Spiel mit klanglichen Möglichkeiten wieder.
Doch wie verfährt man nun, wenn die Band, die bereits nach dem ersten Album kaum noch nennenswertes unter die Leute gebracht hat, nach Jahren wieder aus der Versenkung auftaucht? Lässt sich "Propaganda" jetzt überhaupt mit dem vorherigen Schaffen vergleichen? Ganz klar: nein! Vielmehr ist das Album das Ergebnis zweier Männer, die sich nicht mehr darum scheren, irgendjemandem zu gefallen. Stattdessen konzentrieren sie sich nur noch voll und ganz auf ihre eigene musikalische Vision, die an manchen Stellen aber nicht mehr so verfängt wie früher. Wer daher auf große Hits im Stile von "Dr. Mabuse" oder "Duel" hofft, wird enttäuscht sein. Wer aber üppig angelegte, elegante und düstere Songs mit Tiefgang favorisiert, der wird Gefallen an der jüngsten Veröffentlichung der Düsseldorfer finden. Denn die Magie von einst findet sich auch auf "Propaganda" wieder, nur in anderer Form.