Vor 12 Jahren habe ich etwas verpasst. Vielleicht hatte ich vom Debüt der Ägypter Odious gelesen, aber der Begriff Melodic Black Metal ist so zutreffend wie er auf mich abschreckend wirkt. Vielleicht hatte ich das Cover gesehen, aber im Original sah "Mirror of vibrations" wie eines der unzähligen Black Metal Alben der 90er und 00er aus, denen man leider absolutes Fehlen von Kreativität und Ästhetik unterstellen muss. Vielleicht aber fand seinerzeit das Debüt der fünf Herren aus Ägypten wenig Beachtung in den Gazetten, denn obschon sie mit dem Verkaufsargument ihrer für das Genre ungewöhnlichen Herkunft punkten konnten wirken die Fotos eher wie Schnappschüsse von einer Brian Adams Tribute Band beim Liveauftritt. Aber ich muss es deutlich wiederholen: Vor 12 Jahren habe ich etwas verpasst.

Shaytan Records, beheimatet in Kanada, bringt nun eine Wiederveröffentlichung des Albums auf Vinyl heraus und aller Vorbehalte gegenüber Rereleases unbekannter Schwarzwurzelkunst zum Trotz ist "Mirror of vibrations" in der aktuellen Version mit absoluter Berechtigung entstanden: Nicht nur wirkt das Werk mit dem traumhaften, passenden und kunstvollen Coverartwork, dass Nacktheit und Verschleierung in ungewöhnlich märchengleicher Art kombiniert ohne plakativ oder kitschig zu wirken, heute wesentlich runder als noch 2007, nein, es ist vor allem eine weitere Chance, einem größeren Publikum dieses bockstarke Album um die Rübe zu hauen. Denn Odious gelingt, was so viele vor ihnen nie schafften: Sie bringen ihren eigenen, der Herkunft entsprechenden folkloristischen Sound in die wütende Raserei des Black Metal ohne sie vorzuführen, ohne zwei Welten unbequem und zerrissen nebeneinander aufs Band zu pressen. Odious klingen 100% authentisch und das Album ist ein homogenes und exotisches Erlebnis. Und dass das Intro aus dem Original fehlt ist nicht weiter schlimm, denn das nun einleitende "Poems hidden on black walls" beginnt sowieso introartig.

Odious bieten zunächst den Bandfotos zum Trotz herben, fiesen und ungemein abwechslungsreichen Black Metal. Die Herren zeigen eine enorme Spielfreude, sind an keinem Instrument Ausnahmetalente, aber setzen das Set sehr gut um. Die Drums dreschen tight drauf los, die Gitarren pendeln zwischen schrillem Tremolo Picking und schroffen Riffs und es wird auf unterschiedlichste Art gefaucht und gegrowlt. Der Sound passt, vor allem für ein Debüt und einem Genre, das oft miesen Klang mit Keyboardteppichen überdeckt - hier arbeiten Odious fast schon homöopatisch und die Konservenarbeit begleitet die Lieder ohne sich penetrant in den Vordergrund zu stellen. Am meisten erinnern mich Odious von der Marschrichtung her an Limbonic Art, vielleicht ein wenig Bal Sagoth, ältere Cradle of filth und vor allem Odious selbst, denn für ein Debüt ist das Gehörte schon sehr eigenständig. Und dann ist da die großartige Einbindung der ägyptischen Folkloreelemente: Vor allem die Percussions finden sich immer wieder schlüssig in die Musik eingebunden - nicht zwangsläufig in ruhigen Momenten als Bridge, wie man von vielen Vertretern kennt des Genres kennt, die etwas Besoneres präsentieren wollen. Auch landestypische Zupfinstrumente und -melodien höre ich begeistert heraus, landestypische Gesänge und den ein oder anderen geträllerten Ruf, die ich meinem Hollywood Wissen nach Beduinen zuordnen würde.

Odious schafften vor 12 Jahren ein mitreißendes und stimmiges Klangkonzept, fast durchgehend starke Lieder mit Passagen, die auch über die Spielzeit hinaus im Hirn haften bleiben. Kurz, ein Album, dass man kennen darf und als Fan sollte. Dank also an Shaytan Records, das Album nach so langer Zeit noch einmal mit etwas Rampenlicht auszuleuchten und dabei so effektvoll zu verpacken.