Vielleicht erinnern sich einige Leser noch an Novalis und ihr Debütalbum Last Years Calling aus dem Jahr 2002. Schon damals konnte mich die Band mit ihrem melancholisch-verträumten Sound und ihrer konsequenten Neofolk-Ausrichtung für sich gewinnen. Doch trotz meiner Begeisterung spürte ich, dass noch ein gewisses Element fehlte – etwas, das ich nicht genau benennen konnte, das aber in der Tiefe des Arrangements oder in der Dynamik der Songs verborgen lag.
Mit dem Nachfolger Paradise...? fällt es mir nun wie Schuppen von den Augen: Diesem Sound fehlte eine tragende rhythmische Struktur, eine pulsierende Basis, die den Songs mehr Lebendigkeit und Nachdruck verleiht. Und genau das haben Novalis nun perfektioniert. Paradise...? ist in meinen Augen (und Ohren) ein nahezu makelloses Album – in jeder Hinsicht ein großer Schritt nach vorne. Das Songwriting ist spürbar gereift, ausgefeilter und durchdachter, ohne dabei an emotionaler Tiefe einzubüßen. Die Produktion wirkt professioneller, detailreicher und insgesamt homogener. Doch das wohl größte und offensichtlichste Upgrade ist der Zuwachs im Line-up: Aus dem einstigen Duo Stev Schumann und Marcel Hinkel ist nun mit dem Schlagzeuger Mario Krell ein Trio geworden. Und diese Erweiterung macht sich mehr als nur bemerkbar.
Kaum ertönen die ersten Drum-Einsätze, entfaltet sich eine völlig neue Dimension in der Musik von Novalis. Die Songs atmen, sie gewinnen an Dynamik und Energie, und plötzlich ist da eine Struktur, die vorher nur angedeutet war. Es ist, als hätte der Rhythmus all die feinen Nuancen und emotionalen Schwingungen, die bereits vorhanden waren, in einen kraftvollen Rahmen gegossen. Doch nicht nur die Percussion sorgt für diese spürbare Weiterentwicklung – generell wurde intensiv an der Instrumentierung gearbeitet. Die Arrangements sind vielschichtiger, ausgeklügelter, und jedes Instrument findet genau seinen Platz im Gesamtgefüge.
Das Resultat: Paradise...? ist für mich eines der absoluten Highlights dieses Winters. Ein Album, an dem es kaum etwas auszusetzen gibt. Die zwölf Tracks sind hymnisch und sphärisch, zugleich aber auch elegisch, zornig, verletzlich und voller Gefühl. Kurz gesagt: Sie reißen einen mit. Es zeigt sich einmal mehr, wie wichtig es für eine Band ist, sich Zeit für ihre Entwicklung zu nehmen, an ihrem Sound zu feilen und nicht auf der Stelle zu treten.
Wie um zu unterstreichen, welchen Einfluss Mario Krell auf die Entwicklung des Bandsounds hatte, enthält Paradise...? zusätzlich einen Live-MPEG-Videoclip des Songs Of the Golden Future Time. Eine wunderbare Ergänzung, die eindrucksvoll beweist, dass die neuen Kompositionen auch in einer Live-Umgebung nichts von ihrer Intensität und Ausdruckskraft verlieren.
Natürlich wird jeder Hörer seine eigenen Favoriten auf diesem Album finden, aber für mich stechen besonders Where is the Paradise, das treibende When Darkness Falls, In Her Arms, Jonas und September Day hervor. Selbst das Intro und Outro – Part I und Part II – fügen sich atmosphärisch perfekt ein und tragen zum geschlossenen Gesamtbild dieses Albums bei.
Teilweise erinnert mich der Sound von Novalis ein wenig an die legendären Cain Principle – vielleicht einer der Gründe, warum mich ihre Musik so sehr anspricht. Auf jeden Fall bin ich überzeugt, dass wir von Novalis noch einiges hören werden. Spätestens jetzt haben sie sich als feste Größe innerhalb der Szene etabliert, und ich kann es kaum erwarten, sie eines Tages auch live zu erleben.