Der Einstieg wird sich etwas abschreckend lesen, ich bitte dies zu entschuldigen: Vor zwei Jahren entstand mit 'The cold night' das bereits fünfte Album des Japaners Yu, der es bis zum heutigen Tage laut Netz mit seinem Soloprojekt No point in living auf stolze (???) 17 Alben gebracht hat in nur zwei Jahren. Zusammen mit zwei weiteren Veröffentlichungen in dieser kurzen Zeit mit seinen Bands A portrait of flesh and blood und Retreat Neurosis ist das schon eine beeindruckende Anzahl von Werken die mich noch vor dem ersten Lauschangriff stark an der Qualität zweifeln lässt.
Die Spielart DSBM kennt ja bereits einige Vertreter der "Quantität statt Qualität" Zunft, man denke nur an Xasthur, Leviathan und Striborg, die zum Teil wunderbares Material in einer Flut eher überschüssiger Ware verschwinden ließen, doch wirkt deren Diskographie gegen Yus Massenproduktion fast schon schlank trotz deutlich längerer Projektexistenzen. Kann 'The cold night' also überhaupt eine Bereicherung für die Sammlung düsterer Existenzfragen in musikalisch harter Verpackung sein? Jain.
Einen Exotenbonus kann Yu trotz japanischer Herkunft nicht für sich beantspruchen, denn 'The cold night' klingt nicht anders als bei Vertretern aus Europa, Nordamerika oder Australien. Englische Texte und Instrumental keinerlei Experimente - No point in living will an keiner Stelle überraschen, schockieren oder besonders wirken. Dennoch kann man seine Zeit als DSBM Fan deutlich schlechter verbringen. Denn das Album ist absolut rund, es finden sich keinerlei störende Faktoren im Sound und trotz nicht vorhandener Kreativität ist die Dramatik in den Stücken angenehm intensiv und wirkt nicht aufgesetzt. Da habe ich zum Beispiel bei späteren Shining Alben deutlich mehr Spuren aufgesetzter Lebensunlust wahrgenommen.
Nach der obligatorischen Trauernummer aus der Keyboardkonserve pfeift solide programmiertes Drumming unaufgeregt und schnell los, die Pianosounds sind angenehm in den Hintergrund gedreht und die Gitarren sägen lebensverneinend monoton an der Stimmung des Hörers. Gekonnt verbindet Yu die wiederkehrenden Elemente des Openers "Impatience", das Stück wirkt dem Titel "Impatience" entsprechend rastlos und dramatisch und auch gesanglich überzeugt mich Yu: Er muss gar nicht besonders hysterisch und verzweifelt die Oktaven durchkeifen oder einen übermäßigen Halleffekt einbauen. Die einsetzenden Riffs bei "I hate etherything" hat man schon hundertmal gehört, sie reißen aber immer wieder mit, wenn sie so gut umgesetzt werden - melancholische Gitarren, ein gekonnter Wechsel zwischen pfleischnellen Drumming, ruhigen Momenten und sich steigernder Energie. Alles aus dem Lehrbuch, aber mal ehrlich, was uns gefällt gefällt auch nach dem x-ten Mal. Das Titelstück ist atmosphärische Keyboardklimperei, an die sich noch ein weiteres, sehr starkes Stück "The path to the end" und der etwas zu unauffällige "Ocean of sorrow" anschließen. Und schon sind fast 50 Minuten Bilderbuch-Misanthrophie vergangen und der Sommer kann weitergehen.
Ich werde nicht Yus Diskographie durchstöbern und die anderen 16 Alben verkosten. Nein, hierfür war "The cold night" zu wenig besonders und die Masse an Material eher abschreckend wirkend. Gerade in Musikbereichen, die nicht unbedingt von ihren besonderen Melodien als mehr von der transportierten Stimmung leben erscheinen mir Projekte, die in wenigen Alben ihren Standpunkt klar machen etwas sinnhafter und sympathischer. Aber das soll nicht davon ablenken, dass vorliegendes Release eine echte Bereicherung sein kann für Freunde des Genres und dass 'The cold night' vier feine Titel beinhaltet, die in meinen Ohren einige westliche Vertreter in den Schatten stellen.