Morrissey - Ringleader of the Tormentors

Beharrlichkeit, Tradition und Beständigkeit sind Tugenden, die man in Deutschland sehr schätzt: Einmal Pizza Salami - immer Pizza Salami, einmal „Wetten dass...“ mit Thomas Gottschalk – immer „Wetten dass...“ mit Thomas Gottschalk, einmal Mallorca-Urlaub – immer Mallorca-Urlaub undsoweiterundsofort. Diese Treue zur Tradition ist hierzulande auch in der Musiklandschaft zu spüren: Neue Künstler haben es oft schwer, es sei denn man heißt Grup Tekkan oder Tokio Hotel. Aber grundsätzlich feiert man doch lieber die alten Helden. Nirgendwo sonst auf der Welt werden Bon Jovi, Tina Turner oder Bonnie Taylor gefeiert wie in Deutschland. Mit ihnen verbinden wir den Frohsinn der Jugend, ihnen vergeben wir alles. Aber Spaß beiseite: Auch die seriöse Musik hat ihre Helden. Morrissey ist einer davon. Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern der Vergangenheit hat er es geschafft in der Zukunft anzukommen ohne auf alte Etiketten zu setzen und ohne an Authenzität einzubüßen. Es mag abgedroschen klingen, aber Morrissey ist sexy, politisch, radikal, zynisch, und zeitgeistsensibel wie eh und je. Sein letztes Album „You Are The Quarry“ aus dem Jahre 2004 war ein geniales, prächtig schillerndes Werk, welches Morrissey wieder zurück ins Zentrum der Aufmerksamkeit katapultierte. Jetzt – zwei Jahre später – ist der große Gentleman zurück. „Ringleader Of The Tormentors” heißt die neue Langspieltplatte, die vom großen Kultproduzent Tony Visconti zurechtgerückt wurde. Liebe Leser, man darf zurecht behaupten, dass Visconti mal wieder bewiesen hat, dass er der König aller Mischpultregler ist. Die zwölf neuen Songs sind Morrissey pur, sie haben Stil, sie haben Eigenleben, sie haben Charakter und Eleganz. Sie laden zum Leiden, zum Wüten, zum Grübeln, zum Mitfühlen ein. Man kann sie nur lieben oder hassen – ein Extrem, wie man es von Morrissey gewohnt ist. Der Opener „I Will See You In Far Off Places“ ist beispielsweise wie eine endlose Karussellfahrt, bei der sich das anfänglich seltsame Schwindelgefühl nach und nach in eine wohlig anmutende Trance auflöst. Mit dem zweiten Titel „Dear God, Please Help Me” zeigt Morrissey einmal mehr die Schönheit der Melancholie, die neue Single „You Have Killed Me“ ist eine sichere, ohrwurmtaugliche Popnummer, Lieder „The Father Who Must Be Killed” protzen zärtlich mit zynischer Wortkunst und all das ist unterlegt von einem Sound, der zwischen den Zeilen von Pathos-, Minimalismus- und wunderbaren Popstrukturen dahinschwebt. Großartig! Als kleiner Wehmutstropfen bleibt einzig und allein die gewisse Berechenbarkeit des Albums zurück. „Ringleader Of The Tormentors” ist kein großer Boom, dafür aber ein heimliches Gewitter. Morrissey beweist seinen Avantgardismus, denn sein neues Album klingt – und man mag mir diesen seltsam plumpen Ausdruck verzeihen – europäisch wie kein anderes musikalisches Werk unserer Zeit. Was lernen wir daraus? Auch in Zeiten der Globalisierung sind die alten Helden da um uns zu zeigen, wie sich die Musik von morgen anhört. In the future when all's well...

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