Sehen wir der Wahrheit ins Auge: Die 20er Jahre des 21. Jahrhunderts waren bislang für die Tonne. Angefangen mit einer Pandemie, sind wir aktuell extremen Dürresommern und einem Krieg vor unserer Haustür ausgesetzt. Wer vermag da noch positiv in die Zukunft schauen? Richard Melville Hall alias Moby versucht, dies zu tun. Zumindest will er mit seinem neuesten Werk "Ambient 23", welches er pünktlich zu Neujahr veröffentlicht hat, ein musikalisches Zeichen setzen gegen (Existenz)Ängste und für mehr Mut in allem, was wir anpacken.

Damit dies gelingt, ist seiner Meinung nach Ruhe und Entspannung die Voraussetzung, um neue Kraft und Zuversicht zu schöpfen. Moby hat, einmal mehr, die Radikalität der Kontemplation entdeckt. Die Instrumentale bestehen hauptsächlich aus minimal variierten, sich in die Tiefe des Raums ausbreitenden Synthieflächen, die er ohne Schlagwerk in der Schwebe hält. Manchmal tröpfeln Pianotöne selbstvergessen vor sich hin. Wo sie auftauchen, verleihen sie den Stücken eine neoklassische Note.

Einmal mehr zeigt Moby, dass er sich in seiner künstlerischen Ausdrucksweise von nichts und niemandem limitieren lässt. Stilistische Ungebundenheit ist seit jeher sein Markenzeichen. Er war in den 80ern Punker, wurde Teil der Rave-Community in den 90ern, von der er sich aber bald wieder verabschiedete, um alternativen Rock zu produzieren. Seinen größten Erfolg hatte Moby zweifelsohne 1999 mit dem Meilenstein "Play", das entspannte Beats mit Blues, Gospel und HipHop überkreuzte. Danach ging es, von Synthie-Pop bis hin zur Klassik (Mobys letztes Album "Reprise" wurde bei der Deutschen Grammophon, dem Klassik-Label schlechthin, verlegt), weiter lustig querfeldein durch den musikalischen Gemüsegarten.

Nun gelangt er wieder zurück zu den entspannten, intimen Soundscapes, die er dieses Mal mittels analoger Elektronik eingespielt hat. Damit steht er natürlich ganz nah in der Tradition eines Brian Eno, der Moby sicherlich in seinen Kompositionen beeinflusst hat. "Ambient 23" muss als Ganzes aufgefasst werden, die Songs besitzen keine Namen sondern werden als durchnummerierte "Amb 23"-Stücke präsentiert, was ein zusätzlicher Hinweis auf die Entität des Werkes ist. Kein Stück soll hier herausgehoben werden, alles ordnet sich einem übergeordneten Prinzip unter. Deswegen soll an dieser Stelle auch kein Track besonders herovrgehoben werden.

Moby weiß, was er tut. Und er macht es auch gut. Zumindest für jene, die sich von sphärischer Musik gerne davontreiben lassen wollen. "Ambient 23" birgt innerhalb seiner stilistischen Parameter keine Überraschungen, sondern will als homogenes Werk nur Mittel zum Zweck des Findens der inneren Balance sein. Selbstverständlich übersteigt Mobys musikalische Qualität locker und bei weitem die unzähligen schlecht porduzierten New-Age-Sampler, die den Markt immer noch gut füllen. 

Abschreckend jedoch ist die wirklich lange Spielzeit: Mit rund zweieinhalb Stunden muss die Hörerin oder der Hörer viel Muße mitbringen. Dafür sind die Songs allerdings in ihren Strukturen oft zu ähnlich, was für denjenigen, der musikalische Abwechslung wünscht, hier ziemlich schnell an seine Grenzen gelangen wird und vielleicht versucht ist, die Skip-Taste zu drücken.  

So bleibt "Ambient 23" letztendlich ein Album für Liebhaber dieses Genres und überzeugte Fans des Künstlers, die jeden stilistischen Wandel in den letzten 30 Jahren anstandslos mitgemacht haben. Ob man nach dem Hörgenuss dieses opus magnum aber wirklich mutiger und angstfreier durchs Leben geht, sei mal dahingestellt. Immerhin: Man kommt sichtlich zur Ruhe, was helfen kann, den Blick auf die Welt noch mal neu zu justieren.