Es war der 1. Juni 2004, als das Label Mindbase (zu Dependent gehörend) ein Album mit der internen Nummer "mind 074" veröffentlichte. Es sollte die Idee konzeptueller Platten und die musikalische Umsetzung dystopischer Cyber-Punk-Stories auf ein neues Level hieven. "Lost Alone" hieß dieses Album, erschaffen von einem österreichischen Projekt namens Mind.In.A.Box. Nun war das Alpenvölkchen schon von jeher musikalisch immer für eine kleine Überraschung gut, doch die schon auf dem Debüt stringent durchdachte Geschichte um einen Agenten namens Black, der in einer dunklen Zukunftsvision unserer Welt seinen Platz und seinen Lebenssinn zu hinterfragen beginnt, war in seiner Klarheit einfach überragend. Black, der als Teil der Agency versucht, den Sleepwalkers, Wesen, die zwischen der realen und virtuellen Welt (dem so genannten Dreamweb) hin- und herwandern können, beizukommen, wird bei einem missglückten Versuch von der Agency verstoßen und seine Erinnerung gelöscht. Black wechselt zu den Sleepwalkers und beginnt, seine Perspektiven und Sichtweisen zu ändern.

Es ist der Startschuss einer Geschichte, in der die Songs einzelne Szenen des Plots wiedergaben, während auf der Homepage die Story in Gänze erzählt wurde. Innovativ war aber vor allem die Musik, die es sich in einer Nische zwischen Trance, Ambient und Future-Pop kommod gemacht hat. Der amorphe Sound, der eigentlich schon fast zu schade für die Clubs ist, da die Feinheiten der Tracks durch eine laute Beschallung oftmals verlustig gehen, wird von einer intelligenten Stimmverfremdung begleitet. Denn die unterschiedlichen Gesangsmodulationen stehen für die verschiedene Erzählperspektiven in der Geschichte, in der sich Orwells "1984" ebenso wiederfindet, wie auch "Matrix", der zu Beginn der Mind.In.A.Box-Karriere gerade state of the art war und Bezüge zur Trilogie daher natürlich auf der Hand lagen.

Von da an hat sich das Projekt immer weiter entwickelt. Musikalisch baut man auf das solide Fundament auf, das man mit dem Erstling erschaffen hatte. In diesem Bereich wurde nur noch in Nuancen etwas verändert und feinjustiert. Der größte Entwicklungsprozess erfuhr das Projekt vor allem in der Verquickung von Lieder und Story. Im Laufe der Jahre und Alben (mit Ausnahme der C-64-Hommage "R.E.T.R.O" von 2010 wurde bis dato die Saga auf sechs Alben [weiter]erzählt) veränderte sich der Fokus bei Mastermind Stefan Poiss. Geschichte und Musik sollte sich noch mehr verzahnen; die hörspielartigen Elemente nahmen einen immer größeren Raum ein.

Zu behaupten, das würde auf Kosten der Eingängigkeit mancher Songs gehen, mag zwar nicht ganz von der Hand zu weisen sein, entspricht aber nicht unbedingt der Intention des Österreichers. Denn selbst wenn sich über die Jahre tanzflächenorintierte Stücke wie "Change", "Stalkers" oder "Amnesia" angesammelt haben, ist Mind.In.A.Box in erster Linie ein Projekt, das Kopfhöremusik im doppelten Sinne produziert, sowohl technisch als auch metaphorisch. Denn man muss schon genau hinhören, worum es in den Nummern geht.

"Black And White" treibt die Idee eines hybriden Albums, das zwischen Hörspiel und klassischen Liedern die Grenzen verschwimmen lässt, auf die Spitze. Bereits mit "It's So Good To See You Again" (ein Song, der allen Fans allein vom Titel her aus tiefstem Herzen sprechen sollte, haben MIAB doch ganze sechs Jahre seit ihrem letzten Werk "Broken Legacies" verstreichen lassen) wird die neue Richtung von Stefan Poiss deutlich, die "The Insurrectionist" und "Three Doors Away" weiter beschreiten. Die Erzählung steht im Vordergrund, die Musik dient als stimmungsvolles Vehikel, der die Hörerschaft in eine düstere Welt von morgen transportiert. In erstgenanntem Beispiel tauchen sanfte Arpeggiolinien aus der Stille auf und unterstreichen den kontemplativen Moment, als sich The Friend und Night, Vertraute von Black, sich am Strand treffen und von der neuen Gefahr sprechen, sodass auch wir vor der Heimanlage im Bilde sind.

White, der für die Agency arbeitet, versucht nämlich ebenfalls, in das Dreamweb einzudringen und trifft dabei auf seinen Widersacher Black, und wie es das Cover andeutet, kommt es zu einem Showdown, der aber noch nicht das Ende der Geschichte markiert, soviel sei verraten. Natürlich enthält "Black And White" erneute schmissige Stücke wie "Activate" (das in seinen körnigen Sounds an die "R.E.T.R.O." Veröffentlichung erinnert) und "Integrate". Allein die beiden Songs sind schon das Geld für das angeschaffte Album wert. Dochsetzt er bei der WWeitererzählung auf große Detailliebe. Der Gesang wurde weiter ausgearbeitet, die Songs bieten auf so vielen Ebenen kleine Überraschungen, dass es mehrere Anläufe braucht, um diese Platte in Überlänge (74 Minuten Spielzeit!) in seiner Gänze zu erfassen.

Dann erst erkennt man die ätherische Schönheit von "One And The Same", ist vom organischen Schlagzeugspiel bei "Vertigo" im wahrsten Sinne des Titels schwindelig gespielt worden, und wirkt bei "Digital Miasma"  wie in in der virtuellen Realität gefangen. Und das sind nur die besonderen Ausnahmen eines Albums, das man eigentlich Stück für Stück betrachten und feiern kann. Denn "Black & White" ist in seiner Gesamtheit "next level shit". Der stärkere Einbau der Geschichte in die Songs, die ausgefeilten, vielschichtigen Sounds und Gesangsvariationen: All das bestätigt, was einige Musikjournalisten geschrieben haben, als am 1. Juni 2004 Mind.In.A.Box ihr erstes Album veröffentlichten: Diese Band ist eine absolute Ausnahmeerscheinung, die in den nächsten Jahren für Furore sorgen sollte. Dass es bereits zwei Jahrzehnte sind, die uns Mind. In.A.Box nun schon begleiten, ist umso erfreulicher. "Black And White" ist das absolute MIAB-Meisterwerk.