Ich brauchte eine ganze Weile, um mich mit ‚I was never really there‘ anzufreunden: Es kickte mich nicht sofort, es berührte mich nicht und zog gut produziert, aber auch sehr „glatt“ klingend an mir vorbei. Seit Wochen tastete ich mich also immer mal wieder heran, kam langsam auf den Geschmack und heute will ich es angehen – ich formuliere eine Meinung:
Jan Dewulf kann man dank seines bekanntesten musikalischen Betätigungsfeldes Diskonnekted schon das ein oder andere Mal begegnet sein. Seit fast 20 Jahren steht das Projekt des Belgiers für knackige, abwechslungsreiche Elektro/EBM Kost. Doch Mildreda war schon vorher da und der Albumtitel ist eine schöne Umschreibung für den Zustand des Projektes: Demos in den 90ern, Remixbeiträge und eine Online-Veröffentlichung 2016 – fast schon ist ‚I was never really there‘ das erste offizielle Lebenszeichen, das man in den Händen halten kann. Und wie klingt es? Mildreda sind eine dieser Formationen, die (zumindest in aktueller Form) diese besondere, etwas verwaschen-verträumte Form des EBM zelebriert, die trotz aller Kanten und Härte doch eher vor sich hin zu wabern scheint. Ich tue mich nicht immer leicht mit diesem schwer greifbaren Sound, der ohne die richtige Aufmerksamkeit schnell an mir vorbeizurauschen droht. Nordschlacht und vor allem Pyrroline fallen mir als Vergleichsbands ein, die mir zeitweise sehr gut gefielen, aber nach mehreren Wochen mit Mildreda steht es gut für sich selbst:
Wir haben sehr gut produzierte, wabernde Frequenzer, viel instrumentale Halleffekte und rauh, halb geflüsterte Vocals. Dazu dramatische Chor- oder Klassikeffekte, vermutlich aus der Dose und unheilvoll schwingende Keyboardlinien. Die Beats drücken bei konzentriertem Hinhören deutlich mehr, als beim schnellen Überfliegen und die Titel entwickeln die volle Wirkung bei mehrmaligem Lauschen – denn hinter der traumgleichen Stimmung stecken gut getarnt zum Teil wirklich handfeste Kracher. Insbesondere „Inner judgement“ und „Liaisons dangereuses“ gefallen mir mit jedem Durchlauf mehr, insgesamt ist das Niveau aber ein hohes.
Es brauchte eine lange Vorlaufzeit und nun genügen wenige Zeilen: Mildreda haben ein wirklich feines Stück düsterer Elektronik zusammengeschrieben. Nicht zu vertrackt, wie es manchmal bei Pyrroline der Fall ist, durch den wabernden Sound aber auch in keinster Weise plump. Einige Titel könnte ich mir gut in einem Club vorstellen, sollte es solche noch oder irgendwann mal wieder geben und für den Heimgebrauch ist das Album spitze. Unbedingte Reinhörempfehlung.
Mildreda
I was never really there
20.08.2021
Dependent Records
https://www.mildreda.com
01. Backfire
02. Reinvention of pain
03. Echoes
04. Inner judgement
05. Liaisons dangereuse
06. Erased (feat. Numb)
07. In the vacuum of your mind
08. Through the fire
09. Blame it on the moon
10. Opposite choice
11. Dream machine