Viel Aufhebens um seine Person hat Midge Ure nie gemacht. Dabei hätte er allen Grund dazu. Schließlich hat er an der Legendenbildung der 80er als das Jahrzehnt perfekter, selbsteferentieller Popmusik einen sehr großen Anteil gehabt. Der neuen Dekade schenkte er gleich zu Beginn mit dem Song "Fade To Grey" ihre erste Hymne. Das Stück mit der markanten Synthesizermelodie machte die Band Visage groß und New Romantic als Spielart elektronischer Musik salonfähig. Doch während die damaligen "Blitz Kids" ihre nihilistischen, ausschweifenden Parties feierten (Visage-Sänger Steve Strange war da immer an vorderster Front), zog es Ure bereits zu seinem nächsten Projekt: Er übernahm die vakante Stelle des Sängers bei Ultravox (den zuvor John Foxx ausfüllte).
Mit Ure feierte die Band ihre größten Erfolge. "Vienna", "Hymn" und "Dancing With Tears In My Eyes" sind bis heute herausragende Nummern, die sich dank ihrer kompositorischen Raffinesse immer noch deutlich von den gemeinen Popsongs der ersten Hälfte der 80er unterschied. Ultravox war kurz gesagt sophistischer als ihre Mitstreiter. Auf dem Höhepunkt des Erfolges kam Ures größter musikalischer Geniestreich. Er schrieb zusammen mit Bob Geldof "Do They Know It's Christmas?", eine beispiellose Benefizsingle, auf welcher die, überwiegend britischen, Popgrößen ihr Stelldichein gaben.
Danach verließ Midge Ultravox, um solo weiter zu machen. Zwar wurden die Erfolge von nun an weniger - außer "If I Was" und dem dazugehörigen Album "The Gift" liefen die weiteren Veröffentlichungen (inklusive der etwas halbgaren Wiedervereinigung von Ultravox und dem orientierungslosen Werk "U-Vox") unter "ferner liefen", doch so ganz war er nicht von der Bildfläche verschwunden und schaffte in den 90ern mit "Cold Cold Heart" und - dank einer Uhrenwerbung - "Breathe" auf unaufgeregte und dennoch überraschende Weise Achtungserfolge. In den 2000ern kamen Ultravox in Originalbesetzung noch einmal zusammen; es folgte eine vielumjubelte Reuniontournee durch Europa und mit "Brilliant" ein letztes, nostalgisches Album.
Kurz vor seinem 70. Geburtstag im vergangenen Jahr blickte Midge auf sein Schaffen in Form eines opulenten Konzertes in der geschichtsträchtigen Royal Albert Hall zurück. Dieser Auftritt wurde in bester Tonqualität konserviert und zeigt einmal mehr, mit wieviel Talenten der Mann ausgestattet ist. Auf drei CDs können wir die unterschiedlichsten Phasen von Ures Karriere im Zeitraffer miterleben, angefangen mit einem ruhigen Akustikset, bei dem er seine Singer/Songwriterqualitäten zum Besten gab. Ein Stück wie "Dear God", welches als Kommentar zum Kalten Krieg zu lesen ist, hat von seiner Aktualität nichts verloren und wirkt in in dieser ruhigen und nachdenklichen Version noch eindringlicher.
Im zweiten Set hören wir die großen elektronischen Erfolge, darunter auch das etwas in Vergessenheit geratene "Yellow Pearl", welches Ure seinerzeit für Phil Lynotts Album "Solo In Soho" (1980) komponierte. Lynott war Frontmann bei Thin Lizzy, in der Ure kurzzeitig als Gitarrist mitspielte. Das Kernstück dieser Aufnahmen bildet aber sicherlich die komplette Aufführung des Klassikers "Vienna". Vor allem "Mister X" sticht dabei heraus, weil es mit Vocodereffekten arbeitet und noch mal verdeutlicht, das Ultravox dieses Stück, bei dem Drummer Warren Cann damals den Sprechgesang übernahm, als Kraftwerk-Hommage verstanden haben wollten.
Von diesem gesanglichen Experiment abgesehen, konnte sich Midge Ure, trotz fortgeschrittenen Alters, immer noch auf seine Stimme verlassen, die zwar nicht mehr die Höhen erklimmt wie noch vor 40 Jahren, aber nichts an Ausdrucksstärke eingebüßt hat.
Abgerundet mit exquisiten Zugaben (unter anderem "Fade To Grey", "Hymn" und "Dancing With Tears In My Eyes", bei dem das Auditorium kräftig mitsang) kredenzte der Musiker eine großartige Zusammenfassung seines vor einzigartigen Songs überbordenden Oeuvres. Die stets unaufgeregte und bescheidene Art machen den Scotsman zudem zu einem absoluten Sympathen und den Livemitschnitt in der Royal Albert Hall zu einem würdigen Alterswerk sowie Pflichtkauf für jeden Fan.