Als Klaus Sperber am 6. August 1983 in New York als einer der ersten Prominenten an den Folgen der damals noch kaum erforschten Krankheit AIDS verstarb, war er allein. Die Menschen, die mit ihm oder für ihn arbeiteten, hatten Bedenken, sich auch mit diesem "Schwulenkrebs", wie die Immunkrankheit salopp genannt wurde (den Begriff AIDS gab es damals noch nicht), anzustecken. Doch die Einsamkeit war ihm auch zu Lebzeiten ein treuer Begleiter. Schließlich wirkte Sperber, der als Klaus Nomi aus den schrillen New-Wave-Vaudeville-Shows von Big Apple aus in die Welt hinauszog, jeher wie "The man, who fell from earth" -  wie der Mann, der vom Himmel fiel. Und er hatte Zeit seines Lebens mit Widerständen zu kämpfen gehabt.

Geboren in Immenstadt im Allgäu am 24. Januar 1944, zog er als kleiner Junge nach Essen, wo seine Mutter ursprünglich herkam. In seinem Elternhaus spielte Musik immer einen große Rolle. Als Klaus eine Scheibe von Elvis Presley kaufte, war seine Mutter darüber so entsetzt, dass sie die Platte gegen eine Aufnahme von Maria Callas eintauschte. Ein einschneidendes Erlebnis für den eher zurückhaltenden Jungen, der von der Stimme der Operndiva derart angetan war, dass er fortan so singen wollte wie sie.

Seine hohe Stimme hatte er bereits schon damals entdeckt, seine Gesangslehrer förderten dieses Talent aber nicht, weil es eben nicht "männlich" genug war und die Gesangsform des Countertenors zu den Relikten aus dem 14. Jahrhundert gehörte. So singt eben keiner mehr heutzutage. Aber Klaus Sperber ließ sich nicht von seinem Wunsch abbringen und versuchte danach sein Glück in der (Kunst)Metropole Berlin.

Hier wiederholte sich das Spiel: Keiner wollte ihm zum Countertenor ausbilden. Also versuchte er sich als Tenor und trainierte selbstständig seine Stimme in den hohen Lagen. Ein Engagement an der Deutschen Oper Berlin erhielt er nicht - er war lediglich Platzanweiser. Damit konnte er immerhin ein bisschen Geld verdienen und war seiner heiß geliebten Opernwelt stets nahe.

1973 siedelte er dann nach New York über - ein konsequenter Schritt, denn dort herrschte eine ganz andere Stimmung. In Deutschland war er der Sonderling, der nicht in den konservativen Kulturbetrieb passte, in Amerika ein Freak unter vielen, der seiner Leidenschaft ungehindert nachgehen konnte. Ira Siff bildete seine Countertenor-Stimme aus, während er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. Das East Village war in dieser Zeit der Schmelztigel für die Ausgeflippten und Kreativen, und Klaus Sperber, der sich in Anlehnung an eine Science-Fiction-Gazette in Klaus Nomi umbenannt hatte, war mittendrin.

Weitere Jahre vergingen, ehe im Dezember 1978 im Club Irving's Plaza das "New Wave Vaudeville" stattfand, ein Abend voller Abstrusitäten und Albernheiten: Männer mit Schaumstoffgitarren, ein singender Hund, Musiker in Nazi-Uniform und dergleichen mehr. Der Geist des Punk wehte durch den Club. Klaus Nomi trat als letzter auf. Ein zierlicher Mann, die Haare wie zu einer dreizackigen Krone frisiert, weiß geschminktes Gesicht, weit aufgerissene Augen, schwarze Lippen, der transparente Regenmantel ließ ihn wie einen Außerirdischen aussehen. Roboterhaft stakste er auf die Bühne und begann, aus Camille Saint-Saens Oper "Samson und Delilah" das Stück "Mon coeur s'ouvre à ta voix" ("Mein Herz öffnet sich deiner Stimme") vorzutragen.

Es hätte alles ins Lächerliche kippen können: Nomi, der mit seinem harten deutschen Akzent Opernarien singt, wirkte absolut Fehl am Platz. Aber es war die künstlerische Ernsthaftigkeit und Ausgefeiltheit seiner Performance, mit der Klaus zwar auch immer den Kitsch streifte, aber dennoch enigmatisch und mystisch genug war, um die Menschen staunend und auch ratlos zurückzulassen. Hat er jetzt wirklich so gesungen? Oder war das nur eine Show? Viele zweifelten die Echtheit seiner Stimme an. Egal, Nomi war im Gespräch.

Rasch kultivierte er seine Bühnenfigur und wurde zum gefeierten Underground-Star. Die Menschen kamen in die kleinen Clubs, nur um seine Auftritte zu sehen. Die Band, die sich bald um Nomi rekrutiert hat, trat zunächst mit Sturmmasken auf, damit sich das Publikum ganz auf Nomi konzentrierte. Kurze Zeit später legten sie die Verkleidungen ab, denn der Sänger füllte mit seiner Präsenz den ganzen Raum, sodass sich sowieso keiner mehr für die übrigen Musiker interessierte.

Unter den Bewunderern war auch David Bowie, der von seiner Show derart angetan war, dass er den Deutschen für einen Auftritt bei "Saturday Night Live" engagierte. Das vergrößerte Nomis Bekanntheit explosionsartig. Der Schneider, der für Bowies Fernsehauftritt ein dadaistisches Kostüm anfertigte (und von Nomi und einem anderen Backgroundsänger ans Mikro getragen werden musste), entwarf für den Countertenor etwas später sein textiles Markenzeichen: Einen überdimensionalen, kubistisch angehauchten Smoking mit spitz zulaufenden Schulterpolstern, sein Oberkörper zum Dreieck stilisiert. Die Silhouette, die er durch sein Outfit formte, wurde fast so ikonisch wie jene von Batman.

Zwar wuchs seine Bekanntheit, aber ein Plattenvertrag blieb aus. Die amerikanischen Labels hatten Angst, sich an dem schrillen Homosexuellen die Finger zu verbrennen. Nomi, dessen Geltungsdrang größer wurde, trennte sich von seiner alten Band (sehr zu derem Leidwesen) und ging zurück nach Europa, um eine Plattenfirma zu finden. RCA France, der Ableger eines amerikanischen Labels, ging schließlich das Wagnis ein und wurde reich belohnt. Sein erstes Album "Klaus Nomi" avancierte 1981 zum Überraschungserfolg in Frankreich. Und dass, obwohl die Plattenbosse selbst nicht wussten, wo sie den Deutschen einordnen sollten. Seine Songs waren einerseits New-Wave-Pop, der an die Sparks erinnerte ("Total Eclipse", "Simple Man"), andererseits klassische Opernstücke ("Cold Song", aus Henry Purcells Oper "King Arthur", ein Lied wie eine Gothic-Quintessenz). Er passte eigentlich gar nicht in seine Zeit und war doch so stilprägend für sie.

Sein breit aufgestelltes Repertoire war gleichzeitig sein Erfolgsgeheimnis: Nomi begeisterte Generationen. Kinder fanden ihn schräg, junge Erwachsene favorisierten seine modernen Songs wie "Keys Of Life", und Freunde der Oper honorierten seine klassischen Darbietungen. Damit war er einer der ersten Musiker, die das praktizierten, was man später Crossover nennen sollte. "Klaus Nomi" erlangte in Frankreich Goldstatus und markierte den Durchbruch. Lediglich seinen alten Weggefährten aus der New Yorker Zeit stieß die "Vermarktung" seiner Kunst sauer auf.

Auch in seinem Heimatland wurde man nun auf den deutschen Außerirdischen aufmerksam. Fernsehauftritte, unter anderem bei "Bio's Bahnhof" und "Na, sowas!" mit Thomas Gottschalk machten Nomi hierzulande bekannt. Ging es nach dem Willen seiner Plattenbosse, sollte das zweite Album "A Simple Man" von 1982 auch den amerikanischen Markt erobern. Doch bereits in diesem Jahr verschlechterte sich Nomis Gesundheitsszustand rapide. Seine Stimme versagte immer öfter bei Auftritten. Um Konzerte durchzustehen, pumpte er sich mit Antibiotika voll. Schließlich stellten Ärzte fest, dass er unter Grid litt, unter Gay Related Immune Deficiency, wie AIDS damals noch genannt wurde.

Seinen letzten öffentlichen Auftritt bestritt der Sänger, von seiner Krankheit bereits deutlich gezeichnet, in München bei der "Klassik-Rock-Nacht" im Dezember 1982 in der Rudi-Sedlmayer-Halle, bei dem unter anderem auch Ultravox und Mike Oldfield spielten. Mit letzter Kraft trug er "The Cold Song" vor. Es war Nomis Schwanengesang und Requiem, aber gleichzeitig auch ein Triumph und Genugtuung für ihn, der seine Kritiker, die meinten, er würde mit seiner Frauenstimme niemals auf einer Bühne stehen, verstummen lassen sollten. Für immer.

Selbst nach seinem Tod umgibt den Mann immer noch eine rätselhafte Aura, auch weil er so wenig von seiner Privatperson preis gab. Die Faktenlage bleibt weiterhin dünn, obwohl es schon zahlreiche Dokumentationen über ihn gibt (allen voran: "The Nomi Song" von 2004). Die Behauptung beispielsweise, Nomi hätte eine Ausbildung als Konditor gemacht, wurde immer wieder dementiert. Dass er aber Kuchen backen konnte, ist unbestritten. Oftmals "bezahlte" er beispielsweise befreundete Fotografen mit Linzer Torte oder Zitronenkuchen für ihre Dienste. Diese schwärmen bis heute von seinen süßen Kreationen. An Klaus Sperber kamen aber nur die wenigsten heran.