Oh, was für eine große Freude! Klangstabil haben es endlich wieder geschafft, meinen Schädel mit ihrer unverkennbaren Klangkunst zu füllen und dabei den „Shadowboy“ in mir zu erwecken. Genau dieses ruhige, atmosphärische Titelstück, das sich behutsam in eine episch drückende Soundwand steigert und dem Duo bereits seit einiger Zeit bei ihren Live-Auftritten als audiovisuelles Highlight dient, ist wieder da. An dieser Stelle sei gleich eine Empfehlung ausgesprochen: Das Musikvideo zu „Shadowboy“, das mit der kreativen Mitwirkung zahlreicher Fans entstanden ist, sollte man sich nicht entgehen lassen – es ist schlichtweg beeindruckend und spiegelt die emotionale Tiefe der Musik visuell wider.
Das vorliegende Album zeigt, wie konsequent und leidenschaftlich sich Klangstabil musikalisch weiterentwickeln. Dabei bleibt ihr Hauptanliegen unverändert: Der Hörer wird dazu aufgefordert, sich intensiv mit sich selbst, seinem Verhalten und seiner Rolle in der Gesellschaft auseinanderzusetzen. Diese Grundidee zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk und verleiht ihm eine eindringliche Tiefe, die man nicht oft findet. Musikalisch gesehen hat sich das Duo seit den Tagen von „Taking Nothing Seriously“ und „Math & Emotion“ – ganz zu schweigen von den experimentellen Anfangstagen – enorm weiterentwickelt. Die rohe, elektronische Härte ihrer früheren Werke hat einem weicheren, zugänglicheren Sound Platz gemacht, der dennoch nichts von seiner Intensität eingebüßt hat. Überraschenderweise nähern sich die Vocals immer mehr einem Stil an, den man tatsächlich als hip-hop-artig beschreiben könnte – ein Wandel, der mich anfangs regelrecht schockierte, da Hip-Hop nicht unbedingt zu meinen bevorzugten Musikrichtungen gehört.
Doch, und hier liegt der Zauber von Klangstabil, mit jedem weiteren Hördurchlauf erschließt sich die Genialität dieser stilistischen Verknüpfung. Der „Shadowboy“ entfaltet mehr und mehr seinen Charme, da der Mix aus den typischen epischen Melodielinien von Klangstabil und den hip-hop-inspirierten Beats und Rhythmen erstaunlich gut funktioniert. Besonders das Stück „1 of 100“ sticht hier hervor: Die Rhythmik und der Gesang könnten direkt aus einem Hip-Hop-Track stammen, doch die darunterliegenden Melodien sind unverkennbar Klangstabil – eine Symbiose, die wunderbar harmoniert.
Die Texte auf dem Album verdienen besondere Beachtung. Sie überzeugen mit unaufgeregter, aber tiefgründiger Lyrik, die ambitionierte Botschaften transportiert, ohne dabei plump oder belehrend zu wirken. Stücke wie das einfühlsame „I Pay With Friendship“, das bereits erwähnte „1 of 100“ (hier fällt besonders die charmante deutsche Betonung in den englischen Texten auf) oder das nachdenkliche „The Bottom of Your List“ laden dazu ein, intensiv zuzuhören und die Inhalte auf sich wirken zu lassen. Manche mögen die Texte vielleicht als naiv empfinden, doch bei Klangstabil wird die Aufforderung an den Hörer, sich selbst zu reflektieren, zum zentralen Element der Musik – und nicht bloß zu einem beiläufigen Nebeneffekt.
Ein weiteres Highlight des Albums ist der Track „Schattentanz“, der sich wie ein Echo früherer Werke anfühlt. Dieser Song greift das Grundschema von „Shadowboy“ auf und steigert sich zu einem mächtigen, intensiven Kracher, dessen Melodien sich unaufhaltsam in den Kopf des Hörers bohren. Es ist ein fantastisches Beispiel dafür, wie Klangstabil ihre Wurzeln respektieren und dennoch innovativ bleiben.
Natürlich verstehe ich jeden Skeptiker, der bei der Kombination von Hip-Hop und EBM die Augenbrauen hebt. Aber diejenigen, die sich auf das Experiment einlassen und bereit sind, ein offenes Ohr mitzubringen, könnten mit „Shadowboy“ eine echte Freundschaft schließen. Zwar gibt es auf Albumlänge kleine Schwächen in Bezug auf die melodische Spannung, doch diese werden durch die mutige und herzliche Herangehensweise von Klangstabil mehr als wettgemacht. Ein solch radikaler Stilwechsel verlangt nicht nur Können, sondern auch eine gehörige Portion Mut – und genau den beweisen Klangstabil einmal mehr. Chapeau!