Es ist fast schon rekordverdächtig: "VII" ist das erste offizielle Album der schwedischen Synthiepopper seit ihrer Gründung 2008. Ganze 16 Jahr musste also gewartet werden, damit Sänger Nicklas Stenemo und Musiker Christian Berg endlich eine Langrille auf den Markt bringen. Einziger, klitzekleiner Wermutstropfen: Die Songs auf "VII" sind lediglich eine Zusammenfassung aller digitalen Singles, die Kite seit 2017 herausgebracht haben. Doch passt auch dieses Release zur außergewöhnlichen Karriere eines Projekts, das zum jetzigen Zeitpunkt zu einer der wichtigsten Vertreter der elektronischen Klangerzeugung zählen.
Bereits mit ihrer ersten EP "I" ließ das Duo aufhorchen: Kites Lieder waren zwar vom frühen Elektropop inspiriert, weswegen verschiedene Rezensenten gerne Vergleiche mit Orchestral Manoeuvres In The Dark und ähnlichen Gruppen zogen. Doch die nachfolgenden EPs, die mit fortlaufenden römischen Zahlen betitelt worden sind, zeigten die Verwandlungsfähigkeit von Stenemo und Berg. Kite waren mehr als nur eine weitere Synthesizer-Combo. Dass sie von Anbeginn nur Kleinformate veröffentlichten, hatte mehrere Gründe. Zum einen hat sich die Begrenzung auf fünf Songs pro Release als optimal für das Zweiergespann erwiesen, um den Stücken die bestmögliche Aufmerksamkeit zu schenken. Zum anderen wusste der Sänger bereits zu diesem Zeitpunkt, dass das Album in Zeiten von Streamingdiensten nicht mehr die Relevanz wie früher besitzen würde.
Seit 2017 haben Kite dieses Konzept der kleinen Schritte weiter radikalisiert und nur noch Singles mit maximal zwei Stücken und rein digital veröffentlicht. Das ermöglichte der Band, nicht nur noch konzentrierter an den Songs zu arbeiten, sondern die verschiedenen Spielarten von Synthiepop voll auszukosten. Im Vergleich zu ihren früheren Veröffentlichungen näherten sich Kite nun einem stärker funkelnden, jubilierenden Sound an, der aber auch eine große Portion Weltschmerz in sich trägt. Das liegt nicht zuletzt an Stenemo selbst, dessen androgynes, leicht larmoyantes Organ den Stücken eine spezielle Note verleiht.
Die auf "VII" zusammengefassten Singleveröffentlichungen markieren einen deutlichen klangästhetischen Fortschritt des Zweiergespanns im Vergleich zu den zuvor veröffentlichten EPs. Die beiden Musiker haben sich weiterhin einer auf Synthesizer basierenden Popmusik verschrieben, bei der aber immer deutlicher die typischen Indie-Elemente hervortreten. Man fühlt sich an die wunderbare Platte "Hurry Up, We're Dreaming" der französischen M83 aus dem Jahre 2011 erinnert. Doch wo diese danach nichts mehr erwähnenswertes veröffentlichten, sind Kite von Jahr zu Jahr besser geworden. Ihre spektakulären Liveauftritte taten ihr Übriges an der Legendenbildung der Band, die (bis jetzt) ohne ein Album ausgekommen ist.
Das Werk präsentiert das Projekt in seiner ganzen musikalischen Vielfalt. Ob nun die intime Ballade "Glossy Eyes", das wuchtige "Bocelli" oder die tanzbaren Songs "Teenage Bliss" und "Don't Take My Light Away" (bei dem selbst ein Autotune der tollen Atmosphäre der Nummer nichts anhaben kann): Jedes Lied besitzt eine besondere Magie, die sich nur schwer beschreiben lässt. Immer wieder fällt der unbedingte Wille zur Überraschung auf. Wenn Kite ihren Maschinen die Töne entlocken, achten sie darauf, weder sich noch irgendjemand anderen zu kopieren. Was sich bei digitalen Singleveröffentlichungen etwas versendet, wird bei "VII" deutlilch vor Augen geführt: Kite haben eine Unmenge großartiger Ideen sowie das untrügliche Gespür für die großen Pop-Momente. Einfach mal "Panic Music" anhören - das Stück spricht für sich.
Wem der Name Kite noch nicht begegnet ist (solche Menschen soll es ja auch geben), ist daher diese Zusammenstellung ihrer musikalischen Ergebnisse der vergangenen sieben Jahre uneingeschränkt ans Herz gelegt. Selten hat sich elektronische Musik derart kunst- und anspruchsvoll angehört, und selten flutscht einem dieser Anspruch im selben Moment quasi widerstandslos durch die Gehörgänge. "VII" ist, wie Kite selbst, ein wirklicher Glücksfall.