KiEw - Exit#72

KiEw - Exit#72

15 Jahre KiEw und kein bisschen normal, geschweige denn gesund! Selbst nach einer intensiven, umfassenden, aber höchst zweifelhaften und riskanten "Audiotherapy" im letzten Jahr scheint eine Heilung der Patienten noch nicht erfolgt. In der geschlossenen Anstalt rumort es also weiter. Auch wenn die Hoffnung auf eine vollständige, endgültige Heilung wohl aussichtslos ist, sind die drei norddeutschen gespaltenen Persönlichkeiten, deren Namen in den Krankenakten mit Andreas "Thedi" Thedens, Matthias Kulcke und Stephan Thiemicke vermerkt wurden, in ihrem umfangreichen Therapieplan inzwischen wieder einen großen Schritt weiter.

So präsentieren die agilen Therapieforscher anlässlich ihres zu feiernden Geburtstages mit "Exit #72" ein 20-Track-(Mini-)Album, das sich aus gelungenen Remixen einiger "Audiotherapy"-Tracks sowie acht neuen Stücken bzw. Therapieansätzen zusammenfügt. Wie der Titel schon vermuten lässt, beschäftigt sich der aktuelle Silberling mit dem Thema "Ausgang", das in unterschiedlicher Weise zu interpretieren ist: Während Ausgang einerseits nichts anderes als einen zeitlich begrenzten Freigang der Patienten während seiner Therapie bedeutet, kann der Begriff auch als Flucht bzw. endgültiger Ausgang, gerne auch makaber Exitus genannt, aufgefasst werden. So lautet die Frage, was die Patienten des allseits bekannten Zimmer 72 tun würden, wenn dieser Ausgang real vorhanden wäre. Komplex, verstörend, schizoid und warnend – und wie immer zwischen Normalität und Wahnsinn pendelt – schallt "Exit #72" folglich aus den Boxen.

Es bleept, zirpt, rattert, knallt, scheppert und wummert wieder an allen Enden: Von rumpelnden, rhythmischen Industrial-Sounds bis hin zu housigen Tracks spannen KiEw und die angeheuerten Remix-Künstler wieder einmal eine sagenhafte Bandbreite an elektronisch erzeugter Musik, die sich ihren Weg gnadenlos durch die Gehirnwindungen hinab in die kranke, verirrte und dem Wahnsinn verfallene Psyche bahnt. Hochkarätige Genre-Kollegen wie Implant, Architect (ein Seitenprojekt des Haujobb-Masterminds Daniel Myer), Asche, Spherical Disrupted oder Iszoloscope haben sich um ausgesuchte "Ausschnitte" des von KiEw angeordneten "Therapieplans" gekümmert (der, wie es sich gehört, natürlich mit dem Verlesen der Anstaltsordnung beginnt) und die jeweilige "Patientenakte" auf unverkennbare, originelle Weise neu interpretiert. Besonders erfolgreich waren dabei Asche, Iszoloscope und Architect, aber auch Naomi Sample, ein Minimal-Electro-Act aus KiEws Heimat Lüneburg haben sich den Doktorhut verdient und aus „Odessa“ mit dem Short Stay Mix einen schwungvollen, stark reduzierten und trashigen Titel gemixt.

Neben diesen z.T. großartigen Tracks wirken die acht von KiEw neu konzipierten Therapieansätze fast wie kleine, aber nicht zu verachtende Füllsel, die den Gesamtplan rund machen sollen. Richtige Kracher sind allerdings leider nicht dabei. Bei wem "Audiotherapy" noch nicht die gewünschte Wirkung erzielt hat, der sollte sich schleunigst wieder seine seltsam geschnittene weiße Jacke anziehen, aber vorher nicht vergessen, "Exit#72" einzulegen und die Play-Taste zu drücken. Wer besonders aufmerksam zuhört, darf vielleicht nun auf Besserung hoffen. Sollten Sie jedoch unerwünschte Wirkungen bei sich feststellen, informieren Sie bitte umgehend Ihren Arzt, damit er den Schweregrad feststellen und ggf. über erforderliche weitere Maßnahmen entscheiden bzw. Sie beraten kann!

Sind die Nebenwirkungen sehr stark, so brechen Sie die Behandlung ab und informieren Sie bitte ebenfalls Ihren behandelnden Arzt.

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