Natürlich reagierte ich auf das Cover – Kanonenfieber ist ein Projekt, dass sich durch und durch dem ersten Weltkrieg verschrieben hat und das Artwork greift im Stile originaler Illustrationen die Schrecken der menschenverachtenden Politik auf, die im Krieg Soldaten wie Material “verschwendeten”. Auch der Projektname und Titel des Debuts erzeugen ein Aufhorchen. Sicherlich plakativ, aber auch gut so, denn auf diese Weise fand ich zu diesem Juwel. Und gleichzeitig ist es für mich der eine Kritikpunkt, aber dazu später mehr.

Wie sind, wie es kaum überraschen mag, im Dunstkreis Black / Death Metal. Dazu das Thema Krieg, das nun auch nicht wirklich selten Einzug in die Bezugsthemen einiger Bands erhält. Aber hier wird nicht im Stile von Endstille oder Marduk geballert, also nicht so richtig – und deswegen kann ich will ich gerne berichten: Kanonenfieber ist ein Soloprojekt, der Künstler hält sich hinter seinen kraftvoll zermürbenden Songs, die er hier auf den Hörer abfeuert, verborgen. Doch bereits “Die Feuertaufe” malmt nieder. Kanonenfieber geht es nicht um Aggressionen oder blinde Zerstörungswut. Es ist vielmehr das Gefühl hoffnungsloser Hilfslosigkeit, das hier transportiert wird. Die Erbarmungslosigkeit, mit der Politiker im ersten Weltkrieg Menschen verfeuerten für nichts und wieder nichts. Dabei erinnert die Musik wie eine Mischung aus Bolt Thrower und Helrunar: Ja, es kommen Blast Beats zum Einsatz, sie sind es aber nicht, die im Zentrum stehen – es sind eher die vielen Parts im Mid Tempo, die rahmenden Samples, die von der Aussprache her durchaus Originalreden sein könnten und das immer wieder auftauchende Gefühl der Leere in den Feuerpausen. Das gelingt mal mehr, wie im Opener, dem ausufernden „Die Schlacht bei Tannenberg“, bei „Grabenlieder“ oder im wirklich genialen „Der letzte Flug“, das mein absoluter Favorit ist. „Die dicke Bertha“ hingegen klingt mir zu sehr nach Death Metal und den letzten drei Tracks vor dem letzten Titel fehlt das Ergreifende, um mich wirklich mitzunehmen. „Verscharrt und ungerühmt“ bricht abschließend mit allen Mustern, ist ein Folkstück, das durch seine Aufnahmetechnik fast selbst antik wirkt und ist erfüllt von Schwermut. Fassungslos und überwältigt bleibt der Hörer zurück, die Menschenmühle hat ihn doch noch ausgespuckt, aber er ist nicht mehr der gleiche.

Kanonenfieber zelebrieren nicht die Gewalt, die Kraft oder den Terror, sondern die Sinnlosigkeit und damit ist das Unterfangen in meinen Augen legitim. Aber, und ihr ist meine bereits erwähnte Kritik, trotz allen frage ich mich, warum es immer wieder die Geschichten und Namen aus dem ersten oder zweiten Weltkrieg sein müssen, die Musiker vertonen. Ja, es waren gewaltige und gewaltvolle Zäsuren in der europäischen und der Werl-Geschichte, aber es ist ja nun nicht so, dass seitdem nicht haufenweise sinnlose Konflikte sinnlose Opfer für sinnlose Ziele forderten. Da ist der Mensch schon sehr gut drin und wenn man als Musiker auf Gräuel, Hoffnungslosigkeit, Ausgeliefert sein und den Wahnsinn des Krieges an sich hinweisen möchte, dann muss man nicht immer wieder so weit zurück sehen. Denn Kanonenfieber hat als Projekt musikalisch so viel zu bieten, dass man gut auf dieses Thema und die damit einhergehenden Befürchtungen der Verherrlichung alter Zeiten und Ansichten verzichten könnte. Zusammengefasst aber natürlich ein wirklicher Geheimtipp.

 

Kanonenfieber

Menschenmühle

 

20.02.2021

Noisebringer Records

 

https://noisebringer-records.bandcamp.com/releases

 

01. Die Feuertaufe
02. Die dicke Bertha
03. Die Schlacht bei Tannenberg
04. Der letzte Flug
05. Grabenlieder
06. Grabenkampf
07. In’s Niemandsland
08. Unterstandsangst
09. Verscharrt und ungerühmt