Von allen Protagonisten, die gediegen auf der Neuen Deutschen Welle surften, haben die Wenigsten diese kurze Zeit überdauert. Denn von den ersten Hinterhofkombos, die unter dem Eindruck der immensen Energie des britischen Punk eine äquivalente Szene in Deutschland etablieren wollten, bis hin zu den gecasteten Spaßtruppen, die mit flachsinnigen Texten in der ZDF-Hitparade (mit "dem Dieter, dem Thomas, dem Dieter Thomas Heck") reüssierten, vergingen keine vier Jahre. Der Werdegang der Musikerinnen und Musiker in der Post-NDW-Epoche verlief nicht minder spannend. Hubert Kah beispielsweise arbeitete zusammen mit Michel Cretu und verdingte sich als englischsprachiger Popmusiker (nicht ohne Erfolg), Nena brachte weiter Alben heraus, die aber wenig interessierte Käufer anlockte, und Bands wie Rheingold ("Dreiklangsdimensionen") haben sich aufgelöst und die Mitglieder beachtliche Solopfade beschritten.
Von allen Biografien zählt jene von Joachim Witt sicherlich zu den außergewöhnlicheren. Denn der Hamburger Jung' war vergleichsweise hoch betagt, als er 1980 mit dem Album "Silberblick" und der ausgekoppelten Single "Goldene Reiter" an den Start ging. Ganze 31 Lenze zählte Joachim zu diesem Zeitpunkt schon. Davor hat er unter anderem bei der Rockformation Duesenberg mitgewirkt, mit der er einige kleinere Erfolge verbuchen konnte.
Im Laufe seiner Karriere durchlebte Witt Höhen und Tiefen, wobei die Talsohle, die er durchschreiten musste, ziemlich lang war. Denn nach "Silberblick" verkauften sich seine Alben nur mäßig und auch ein weiterer großer Hit blieb aus, sieht man mal von "Tri-Tra-Trullala (Herbergsvater)" ab. Es sollten mehr als 15 Jahre vergehen, ehe Witt wieder Einzug in die Charts halten konnte. Dank tatkräftiger Unterstützung durch Peter Heppner (ex-Wolfsheim) brachte er mit "Die Flut" eine grandiose Single auf den Markt, die 1998 den apokalyptischen Zeitgeist einer Gesellschaft am Rande eines neuen Jahrtausends perfekt untermalte und den damals fast 50-jährigen wieder ins Gespräch brachte. Vor allem seine "Bayreuth"-Trilogie frönte der Neuen Deutschen Härte, was ihm eine neue Käuferschicht eröffnete und den Musiker zu einem festen Teil in der Schwarzen Szene machte.
Die schroffen Sounds von vor über 20 Jahren sind auf dem aktuellen Werk "Der Fels in der Brandung" aber nur noch in Spurenelementkonzentrationen auszumachen. Beinharte Gitarren hat Joachim Witt definitiv an den Nagel gehängt und einem elektronischeren, von filigranerer Saitenbearbeitung durchzogenen Klangkorsett geopfert. Stücke wie "Revolution" und "Propaganda" hätten allerdings eben diese Kantigkeit, wie sie beispielhaft beim Klassiker "Das geht tief" vorliegen, durchaus vertragen. An anderer Stelle ist dieser neue Pop-Bombast bei Songs wie "In unserer Zeit", das er mit Marianne Rosenberg eingesungen hat, durchaus einnehmend und gut gewählt.
Sicherlich werden aber solche stilistischen Exkursionen nicht jedem Fan schmecken. Zugegeben: "Der Fels in der Brandung" wirkt schlageresk, manche Songs wollen partout gefallen und biedern sich förmlich an. Auf der anderen Seite traut sich Joachim Witt immer noch, unpopuläre musikalische Entscheidungen zu treffen. Marianne Rosenberg ist sicherlich die eine, aber auch der Weltmusikeinschlag bei "Sebelele" (feat. Velile Mchunu) klingt gewöhnungsbedürftig. Dass der Mann mit dem Rauschebart diese Ideen aber konsequent umsetzt, zeigt nur, dass er sich nicht von einem Lager vereinnahmen lässt und seinem Instinkt vertraut.
Dennoch fehlt "Fels in der Brandung" das entscheidende Momentum, der bei der "Rübezahl"-Trilogie so meisterlich aufrechterhalten wurde. Der Funke springt nun nicht wirklich über, sodass man sich beim Durchhören des Albums zwar für den Augenblick gut unterhalten fühlt, aber die Songs kaum in einem nachklingen, was schade ist. Denn Joachim Witt ist ein meisterlicher Beobachter seiner Zeit. Das war bereits beim "Goldenen Reiter" so, das ist beim aktuellen Longplayer nicht anders. Lediglich die Wahl der musikalischen Waffen bleibt umstritten.