Es ist ein schwacher Trost, aber wenn etwas Positives aus unserer momentan am Rad drehenden Welt gewonnen werden kann, dann dass es Künstlerinnen und Künstler zu Höchstleistungen beflügelt. Denn sind die Zeiten extrem, reagiert auch die Kultur extrem. So geschieht es zurzeit nicht selten, dass unpolitische und mediokre Bands sich qua ihrer Songs klar zu positionieren versuchen. Sicherlich gehört Interface aus New York dabei nicht zu den schlechtesten Vertretern ruppiger Electromucke. Vorarbeiter Eric Eldredge hat sich allerdings immer sehr lange Zeit für seine Langrillen gelassen. Seit dem Start von Interface anno 1993 konnte er bislang magere sechs Alben fertigstellen. Allesamt durchaus ansprechend zwar, aber aufgrund seiner unsteten Präsenz lief Interface meist unter dem Radar.
Das sollte, nein, das muss sich mit "Zero-Sum Equation" ändern. Der Mann aus Big Apple hat nämlich geschafft, was nur wenigen gelingt: musikalischen Anspruch mit einer großen Portion Eingängigkeit zu verbinden und das filigrane musikalische Gebilde als Fundament für seine teilweise sarkastischen bis zynischen Beobachtungen zu nutzen. Denn Eric hat offensichtlich die Schnauze gestrichen voll von unserer Welt und der Gesellschaft. Schon der Vorgänger "Where All Roads Lead" zeigte den Mann, wie er not amused war ob der Entwicklung der Menschheit. Fünf Jahre, eine Pandemie, diverse Kriege und eine Wiederwahl Trumps später scheint die Welt noch mehr am Abgrund zu tanzen.
Daher geht Interface nach einem feierlichen Intro mit "(Living In The) 21st Century" unumwunden in medias res. "We’re treading on unstable ground", so sein Fazit. Die Gegenwart ist ernüchternd und die Zukunft alles andere als rosig. Der discoide Frauenchor, der hektisch den Refrain intoniert, dagegen ist genial: In ihm spiegelt sich unsere Schnelllebigkeit, unsere Optimierungssucht, aber auch unsere Oberflächlichkeit und Leere wider.
Es gibt keinen Grund zu feiern. "No Cause For Celebration", befindet Eric daher unter blubbernder Körpermusik und erklärt, warum. "Bring chaos to the nation", "People living in segregation", "In crisis be a sensation". Die stets gleichen Reime und der pumpende Sound manifestieren die Dringlichkeit der Aussage des Textes: Es läuft einfach viel zu viel in die falsche Richtung, als dass die Gesellschaft fröhlich dekadent das Leben feiern kann.
Doch in "Zero-Sum Equation" blickt der Musiker nicht nur auf das, was um ihn herum geschieht, sondern auch, wie sich der moderne Wahnsinn auf sein Seelenleben auswirkt. So betreibt er in "Irregular" eine nachdenkliche Introspektion, begleitet von einem sehr poppigen Sound, so dass Erics höhrere Stimmlage im Refrain an Depeche-Mode-Nummern, die von Martin Gore gesungen werden, erinnert. Trotz der stilistischen Wechsel zwischen härteren Klängen, die angenehm an die Dark-Electro-Hochzeit der mittleren und späten 1990er Jahre erinnern, und einnehmend (future)poppigen Stücken, franst das Album nicht an den Rändern aus, sondern wirkt durchweg nachvollziehbar. Selbst das minimale Intermezzo "When It Rains", das aus Fieldrecordings und einer naiven Klaviermelodie besteht, hat seine Daseinsberechtigung.
Dass sich Eric Eldredge übrigens für "Tomorrow Is Now" als Vorabauskopplung entschieden hat, ist absolut nachvollziehbar. Der Song ist mit seinen knackigen Beats, treibenden Sequenzen und dem Refrain mit Ohrwurmpotenzial ein sicherer Kandidat für die Düsterdiskotheken. Doch den größten Moment hebt sich das Projekt für den Schluss auf. "Full Circle" ist ein ruhiger Song, bei dem Erics unverfälschter Gesang extrem nach vorne gezogen worden ist, um einen intimen Moment zu kreieren. So nackt und verletzlich hat man den Musiker noch nie gehört.
"Zero-Sum Equation" ist der beste Beweis für die These, dass es nicht unbedingt stetig Innovationen in der Musik braucht, sondern gut durchdachte und arrangierte Songs, um ein Album strahlen zu lassen. In dieser Hinsicht leuchtet Interfaces siebter Longplayer in einem gleißend hellen Licht und spendet Zuversicht in dieser dunklen Zeit.