"Herbstschatten stehen seit ihrer Gründung im Jahr 2009 für handgemachten Black Metal. In ihrem Stil verknüpft sich das Neue mit dem Alten, das Melodische mit dem Brachialen. Traditionelle Folkeinflüsse ummanteln progressive Hard Rock Passagen. Deutsche und norwegische Texte werden vorrangig gebrüllt aber auch melodiös gesungen, so treffen melancholische Cleanparts treffen auf aggressives Geballer." So lautet die Vorstellung auf der Bandcamp Präsenz und ich möchte eigentlich nur dazufügen: "...und man wird die Musik mögen oder hassen, kalt lassen wird das Album aber eher nicht."

Die vier Herren aus Hamburg liefern mit ihrem zweiten Album etwas mehr als 50 Minuten harte Kost, die hörbar etwas Besonderes darstellen will. Das in meinen Augen wunderbare Cover zeigt bereits einige Mühen, das Konzept über die Menschheit als Titelgebender 'Abschaum' findet sich konsequent in den Texten wieder und vor allem die Vermengung unterschiedlicher Stile und Emotionen zwischen den Tracks, aber auch innerhalb einzelner, hat man auf diese Weise sicherlich noch nicht all zu oft gehört. So werden sicherlich einige Hörer frohlocken, denn Herbstschatten werfen mit Black Metal, Dark Metal, Neuer Deutscher Härte, Folk und klassischen und progressiven Rock um sich, sie bieten eine Fülle von Gesangsstilen, Chöre, Shoutchöre, Märchenonkelerzähler à la Helrunar, häufig Immortal-Knarzen oder klassisch anmutender Gesang. Sie lautäußern sich zweisprachig, hauen noch Samples mit rein in den Topf und klingen gefühlt alle 30 Sekunden anders. So anders, dass die Liste der Referenzbands den Rahmen sprengen würde. Und sie können tatsächlich in allen Bereichen zeigen, dass sie mit ihren Instrumenten und Kehlen umzugehen verstehen. Dafür verdienen sie in jeden Fall Anerkennung. Denn während andere Bands ein Album nach dem anderen ohne nennenswerte Mühen mit den immergleichen Akkorden und Stilmitteln rausrotzen kann ich mir vorstellen, wie man hier darum bemüht war, etwas Ungewöhnliches zu schaffen.

Leider jedoch haben sich Herbstschatten in meinen Ohren an einigen Stellen verrannt: Denn während die Heroen des Progressive Rock und Metal komplexe Melodiegebilde schlüssig ineinanderfügen wirkt 'Abschaum' oft zerrissen, die Brüche innerhalb der Songs zu abrupt und die glasklare Produktion verhindern ein ineinanderfließen der Elemente. Dann ist mir die Mischung manches Mal zu viel: Während man in den packenden Erzählparts, in Folk Momenten und bei manchen dramatischen Black Metal Sequenzen wirklich gut Atmosphäre und Gefühl aufkommen lässt, sind gerade die Dark Metal / Neue Deutsche Härte Parts und manche Blast Parts furchtbar plump und nervig. Durch die fehlenden Übergänge ist man so (vermutlich absichtlich) vor den Kopf gestoßen, aber dadurch baut sich bei mir kaum Kopfkino auf und ich bin zum Teil genervt, wenn ein Part, der mir wirklich gut gefällt, abrupt mit dem Holzhammer durch irgendeinen Stumpfblock weggefegt wird. Und auch textlich werden Herbstschatten noch einige Entwicklung hinlegen müssen, um mich zu reißen, denn hier werden bedeutungsschwanger und zum Teil witzige Nutzung von Kinderreimen vernichtet durch wieder eher plumpe Standartphrasen oder Murks, der sehr an Ost+Front und Konsorten erinnert.

'Abschaum' wird seine Freunde finden und man sollte Herbstschatten auf keinen Fall abschreiben als fehlgeschlagenes Projekt. Schon so manches komplexere Projekt, das auf späteren Alben seine Trademarks sinnhaft zusammenführen konnte, klang im frühen Stadium zu chaotisch. Da geht noch einiges und die Ansätze von wahnsinniger Genialität und der Mut zum Anderssein sind vorhanden. Ich wünsche mir beim nächsten Mal etwas mehr Kundenfreundlichkeit (wenigstens ein klein wenig bei den Übergängen und der Produktion) und weitaus weniger Holzhammer-Härte und -Lyrik. Bis dahin empfehle ich zumindest die Sichtung des vorliegenden Materials, werde selbst aber 'Abschaum' zu den Akten legen.

 

Herbstschatten

Abschaum

 

02.10.2020

Boersma Records
 

https://herbstschatten.bandcamp.com/album/abschaum

 

01. Endzeit
02. Seelenschrei
03. Der Kutscher
04. Sonnenuntergang
05. Flammen der Schuld
06. Gletscherbestie
07. Thron des Zorns
08. Gabe
09. Hingabe