Heilung - Lifa Iotungard

Heilung - Lifa Iotungard

Musik ist fester Bestandteil aller Kulturen. Dass ihr auch heilende und positive Wirkung zugeschrieben wird, ist medizinisch zwar nicht erwiesen, wird aber allgemein angenommen. Die Frage, welche Klänge nun dem Körper am meisten gut tun, kann nicht beantwortet werden. Die Meinungen driften dabei wie immer auseinander. Beispielsweise sind einige der Überzeugung, dass im Gegensatz zum Kammerton A, der eine Frequenz von 440 Hertz aufweist, Instrumente nach der gleichen Note bei 432 Hz gestimmt werden sollten. Denn diese Schwingung würde im kosmischen Einklang stehen und besonders angenehm des Rezipienten Ohrs schmeicheln.

Von den Urvölkern wissen wir, dass Musik (meist in Verbindung psychoaktiver Substanzen) unter anderem für rituelle und religiöse Ereignisse eingesetzt worden sind. Auch in Europa hat es diese Form klanglicher Untermalung gegeben. Wie sich so etwas angehört haben könnte, versucht Heilung mit ihrer Kunst seit einigen Jahren zu eruieren. Allerdings sind sie nicht unbedingt auf Authentizität aus, sondern verstehen sich nur als Theoretiker, die mit heutigen klanglichen Mitteln ein archaisches Gefühl vermitteln wollen - "amplified history", wie es die Band um den deutschen Tätowierer Kai Uwe Faust umschreibt. Das allerdings gelingt ihnen außerordentlich gut. Auch und vor allem live zelebrieren Heilung keine Konzerte, sondern veranstalten eine schamanische Seance, einen Gottesdienst von längst vergangenen Zeiten.

Die Kraft, mit der das Kollektiv ihre Lieder darbieten, sind nun auf "Lifa Iotungard" eindrucksvoll festgehalten, einem Mitschnitt eines Auftritts 2021 in Red Rocks. Der satte Sound spiegelt den Anspruch der deutsch-dänisch-norwegischen Gruppe wider, die Idee einer reinigenden Messe qua Musik Realität werden zu lassen. Daher kommen die wummernden Trommeln, der hypnotisierende Obertongesang, gepaart mit der beschwörerischen Stimme von Sängerin Maria Franz und die elektronischen Flächen sauber und aufgeräumt aus den Boxen. Kein Übersteuern, kein Ausfransen in den Höhen, keine suppigen Bässe. Die Liveaufnahme grenzt an Perfektion.

Das macht ein Stück wie "Traust" zu einer fast schon außerkörperlichen Erfahrung, während man bei "Elddransurin" das Gefühl hat, auf eine Schlacht mit Schwert und Schild eingeschworen zu werden. Auch das martialische "Maidjan" steht zwar in der Tradition des Nordic-Ritual-Folk (weswegen Kritiker der Band zu Unrecht rechte Tendenzen vorwerfen), ihre ungestüme Art mit schmetternden, fast schon technoiden Beats, würde aber auch auf einem Album vom Psy-Trance-Veteran Juno Reactor nicht weiter auffallen.

Jedoch ist neben dem ehrenwerten Anspruch, frühere Klänge in die Jetztzeit zu verfrachten, auch die Show bei Heilung ein nicht zu unterschätzendes Element. Verleibt man sich einige Videos der Band auf den einschlägig bekannten Plattformen ein, wird schnell deutlich, dass ihre Musik Teil eines übergeordneten Ganzen ist. Trommeln sind mit blutroter Farbe bemalt, die Musiker nutzen Klanghölzchen aus echten Gebeinen. Dass in früheren Zeiten Musik mit menschlichen Überresten gemacht wurde, ist zwar nicht belegt, sei aber durchaus denkbar, wie die Band erklärt. Da Heilung sich auf die Kultur des frühen europäischen Mittelalters berufen und es für diese Epoche nur wenig gesicherte Informationen gibt, spielt die Band nicht ungeschickt mit den Phantasien der Hörerschaft.

Was Heilung mit ihrer Musik jedoch schafft, ist so etwas wie eine Remystifizierung des Lebens: Sie entfesseln mit ihrer Kunst nicht nur die Spiritualität in der Musik, sondern injiziieren sie auch in unsere Welt, in der es keine Götter und keine Rätsel mehr zu geben scheint. Das erklärt vielleicht auch den großen Zulauf und die hohen Chartpositionen, die Nordic-Ritual-Folk-Bands wie Wadruna oder eben Heilung teilweise erlangen. Sie befriedigen eine große spirituelle Sehnsucht der Menschen, die daraus neue Kraft zu schöpfen hoffen.

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