Möchte jemand etwas Süßes? Mal wieder so richtig sündigen, nicht an morgen denken und einfach die kunterbunte Köstlichkeit genießen? Auch wenn es bedeutet, dass man nach 43 Min Schleckerei genauso hungrig da sitzt wie zuvor und erst einmal die klebrigen Reste aus den Ecken kratzen muss? Da habe ich doch genau das richtige, denn das kanadische Duo Ghost Twin hat so einiges zu bieten, das zumindest mir wie ein aus den Fugen geratener Zuckertrip vorkommt. Aber ich bin mir sicher, die Zielgruppe, Freunde leichter Synthpop Klänge mit einem Faible für schmachtigen weiblichen Gesang, die ‚Love songs for end times‘ zu schätzen wissen werden. Also hau ich mir etwas Insulin rein und arbeite mich noch einmal durch die klebrige Melasse.

Das Ehepaar Jaimz (echt jetzt?) und Karen Asmundson lebt im kühlen Winnipeg und ist eigenen Angaben zufolge im Filmgeschäft tätig. Sie werden durch die kanadische Regierung und Radiosender gefördert und diese Informationen sind ungefähr genauso wichtig wie die Tatsache, dass die beiden einen optischen Stil schätzen, der mich abschreckt – schaue ich mir das Cover Artwork und das Foto der beiden bei Bandcamp an, so erkenne ich zwei Dinge: 1) Frau Asmundson hat nur ein „Ketten-Brust-Geschirr“ und ihr Stil ist wie eine schräge Mischung aus 80er Schick inklusive Pailletten, Judas Priest Fanclub und ein klein wenig harte Anzüglichkeit in Form von Ketten und Nieten allerorten. Na gut, jedem das seine – aber auch musikalisch setzt sich dieser Trend (bis auf den Judas Priest Teil) fort: Ghost Twin würde ich als unschuldige Version von späterer Die Form beschreiben. Sehr viel 80er Pop, zum Teil etwas härtere Beats, die fast schon in Richtung Industrial schielen und dazu schmusig-gesäuselter Gesang. Das ist so aufregend wie eine Tüte Gummibärchen und auch ähnlich abwechslungsreich – denn sieht man von äußeren Faktoren wie Beats und genutzte Elektronik ab, so gleichen sich die Songs im Kern doch kaum unterscheidbar. Ist man Freund dieses Sounds, wird man einen echten Freudenrausch durchleben. Ich muss mich zwingen, am Ball zu bleiben.

Keines der Lieder bewegt mich – alles ist gut konsumierbare Radio- oder Clubkost, aber zugegebenermaßen nur für Radiostationen und Clubs, in denen ich nicht unterwegs bin. Seicht, lieb, unaufdringlich – das Paar kann kompetent programmieren und singen, keine Frage, aber sie haben sich für einen Weg entschieden, den ich so furchtbar harmlos finde und bei dem ich nicht wüsste, warum man hier begeistert sein sollte. Wohlwollendes „Ja, nett, kann im Hintergrund laufen“ könnte ich verstehen, mehr aber auch nicht. Und einen einzelnen Track hervorzuheben aus dieser Masse an bunten Zuckerperlen erscheint mir quasi unmöglich: Man macht mit jeder einzelnen entweder alles richtig oder falsch. Meine Empfehlung deswegen: Lieber Denuit genießen – ich erkenne da deutlich mehr Substanz.

 

Ghost Twin

Love songs for end times

 

04.06.2021

Artoffact Records

 

https://ghosttwin.bandcamp.com/

 

01. Strobe light
02. Blue sunshine
03. Pet Ceremony
04. Death note
05. Babes in the woods
06. Become control
07. Illuminati
08. Give me more
09. We are the damned
10. Good intentions